(1911-1986; schrieb auch als Julian Forest und Alan Gould)

Geboren in Plymouth, Devon, als Sohn eines Vaters, der als Taxifahrer und Kutschenbauer arbeitete, wuchs Victor Canning mit seinen beiden jüngeren Schwestern in einfachen Verhältnissen zunächst dort, ab Mitte der 20er-Jahre in Oxford auf. Nach der Schulzeit am Plymouth Technical College und an der Oxford Central School verdiente er sich seine Brötchen anfänglich als Staatsangestellter. In dieser Zeit, im zarten Alter von siebzehn, konnte er seine ersten Stories an Zeitungen und Magazine verkaufen.

1934 veröffentlichte Canning seinen ersten Roman ‚Mr Finchley Discovers His England‘, der gross einschlug und es ihm erlaubte, seinen Beamtenjob zu quittieren und sich fortan ganz dem Schreiben zu widmen. In den folgenden sechs Jahren publizierte er dreizehn (nicht als Krimis zu bezeichnende) Romane unter seinem angestammten Namen und den Pseudonymen Julian Forest und Alan Gould, daneben Reiseberichte für die Zeitung ‚Daily Mail‘.

Cannings 1935 mit Phyllis McEwen geschlossener Ehe entsprangen bis 1942 drei Töchter, Lindel, Hilary und die bereits als Kleinkind verstorbene Virginia. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte Canning zunächst bei der Royal Artillery in Wales, wo er zeitweilig in derselben Einheit wie Eric Ambler diente und sich mit ihm anfreundete, danach im Süden Englands und schliesslich in Nordafrika. Er war an der Invasion Siziliens beteiligt. 1946 verliess er die Armee im Rang eines Majors.

Nach dem Krieg konzentrierte sich Canning auf das Verfassen von Spannungsliteratur – vorwiegend Agentenromane mit abenteuerlichen Szenen, angesiedelt zumeist in Afrika, Asien, Ost- und Südeuropa. Sein Werk enthält indes auch Drehbücher für Film und Fernsehen, Hörspiele, Kinder- und Jugendbücher, Reisereportagen (das Reisen war Victor Cannings grosse Passion) und ungezählte Kurzgeschichten für einschlägige Pulp-Gefässe wie ‚Argosy‘, ‚Suspense‘ und ‚Ellery Queen’s Mystery Magazine‘.

Die Verfilmung seines 1948 erschienenen Romans ‚The Golden Salamander‘ bescherte Canning einen Haufen Geld, mit dem er ein Landhaus in Kent erwarb. Er lebte dort mit seiner Familie, bis er sich 1968 in Diana Bird, eine Nachbarin, verliebte und mit ihr nach Andover, später nach North-Devon übersiedelte. Eine Heirat war indes erst 1974 möglich, und knapp zwei Jahre danach erlag Diana einem Krebsleiden. Noch im selben Jahr vermählte sich Canning mit Adria Irving-Bell. Er lebte mit ihr die meiste Zeit in Cirencester, Gloucestershire, wo er 74-jährig einer Herzattacke erlag. Sein letztes Buch (‚Table Number Seven‘) wurde von seiner Frau und seiner Schwester Jean fertiggestellt.

Plastische Schilderungen von (oft zwielichtigen) Charakteren sowie von Landstrichen, Räumen und Tieren sind die Markenzeichen des scharf beobachtenden, einen schnörkellosen Stil pflegenden Autors, den im deutschsprachigen Raum heute kaum mehr jemand kennt.

In Cannings fulminantem Krimi-Erstling ‚Schwarzer Panther‘ übernimmt der international tätige englische Ingenieur Roger Quain, ein Abenteurer mit romantischer Ader, die heikle Aufgabe, ein Pantherpärchen von Rom nach Paris zu seinem Onkel zu transportieren, der dort einen Zirkus betreibt. Bei einem Zwischenhalt in Mailand trifft er auf die junge britische Spionin Catherine Talbot, die ihn darum bittet, zwei Mikrofilme nach Frankreich zu schmuggeln. Was liegt näher, als sich dafür eines Raubtiers zu bedienen? Doch dann entgleist der Zug am Fuss der Schweizer Alpen, Quain erleidet eine Schädelverletzung, die Panther entkommen, ziehen sich in ein Walliser Bergtal zurück, reissen Schafe und Kühe – und werden von den lokalen Behörden zum Abschuss freigegeben. Eine kunterbunte Gruppe um Quain und Talbot begibt in einer wilden, urwüchsigen Landschaft auf die Treibjagd – wer von ihnen ist hinter den Filmen her? George Sherman brachte die Geschichte 1950 unter dem Titel ‚Spy Hunt‘ mit Howard Duff und Märta Torén in den Hauptrollen auf die Leinwand.

Zu Cannings besten Werken zählt ‚Auf der Spur‘, ein geschickt konstruierter Thriller, nach dem Alfred Hitchcock (ziemlich frei) sein Spätwerk ‚Family Plot‘ drehte. Die steinreiche, nach dem Tod ihrer beiden Geschwister vereinsamte Miss Grace Rainbird hofft, mit Hilfe der sich als Medium ausgebenden Blanche Tyler („Madame Blanche“) ihren Neffen Edward Shoebridges aufzuspüren, der seit vielen Jahren verschollen ist. Blanche und ihr smarter, leichtlebiger Bettgefährte George Lumbley wittern ein hübsches Sümmchen und begeben sich auf Spurensuche. Gleichzeitig entführt ein Ehepar mit dem Decknamen „Trader“ den Erzbischof von Canterbury, eine kleine, geheime Organisation der Regierung soll ihn befreien, ohne dass die Sache an die Öffentlichkeit dringt. Geschickt verknüpft der Autor die beiden lange Zeit parallel verlaufenden Handlungsstränge miteinander und führt die verwickelte Geschichte zu einem harten Ende.

‚Der Charlie-Bazillus‘ ist eine packende und märchenhafte, mit schönen Landschaftsschilderungen geschmückte „Ape-on-the-Run-Story“ um scharf gezeichnete Figuren – und um einen Schimpansen namens Charlie, ein Versuchstier des britischen Verteidigungsministeriums, dem die Flucht gelingt, nachdem es zu experimentellen Zwecken (sprich: Entwicklung von biologischen Waffen) mit einem überaus gefährlichen Bazillus infiziert wurde – Inkubationszeit drei Wochen.

Bibliografie (nur Kriminalromane):

‚Panther’s Moon‘ – ‚Schwarzer Panther‘ (1948), ‚The Golden Salamander‘ – ‚Der goldene Salamander‘ (1948), ‚A Forest of Eyes‘ (1950), ‚Bird of Prey‘ (auch unter dem Titel ‚Venetian Bird‘) – ‚Im Schatten von San Marco‘ (1951), ‚The House of the Seven Flies‘ – ‚Das Haus zu den sieben Fliegen‘ (1952), ‚The Man from the „Turkish Slave“‚ (1954), ‚A Handful of Silver‘ (auch unter dem Titel ‚Castle Minerva‘, 1954), ‚His Bones Are Coral‘ (auch unter den Titeln ‚Twist of the Knife‘ und ‚The Shark Run‘, 1955), ‚The Hidden Face‘ (auch unter dem Titel ‚Burden of Proof‘) – ‚Das verborgene Gesicht‘ (1956), ‚The Manasco Road‘ (auch unter dem Titel ‚The Forbidden Road‘) – ‚Rivalen am Riff‘ (1957), ‚The Dragon Tree‘ (auch unter dem Titel ‚The Captives of Mora Island‘) – ‚Der Drachenbaum‘ (1958), ‚The Burning Eye‘ – ‚Das brennende Auge‘ (1960), ‚A Delivery of Furies‘ – ‚Der Raub der Furien‘ (1961), ‚Black Flamingo‘ – ‚Schwarzer Flamingo‘ (1962), ‚The Limbo Line‘ – ‚Hinter der Limbo-Linie‘ (1963), ‚The Scorpio Letters‘ – ‚Erpressung durch Scorpio‘ (1964), ‚Queen’s Pawn‘ – ‚Schach der „Königin“‚ (1969), ‚The Great Affair‘ (1970), ‚Firecrest‘ – ‚Der verlorene Freitag‘ (1971), ‚The Rainbird Pattern‘ – ‚Auf der Spur‘ (1972), ‚The Finger of Saturn‘ – ‚Tochter des Saturn‘ (1973), ‚The Mask of Memory‘ – ‚Die Wahrheit erfahren Sie später‘ (1974), ‚The Kingsford Mark‘ – ‚Das Sündenmal‘ (1975), ‚The Doomsday Carrier‘ – ‚Der Charlie-Bazillus‘ (1976), ‚Birdcage‘ (1978), ‚The Satan Sampler‘ – ‚Querverbindungen‘ (1979), ‚Fall from Grace‘ (1980), ‚The Boy on Platform One‘ (1981), ‚Vanishing Point‘ – ‚Geheimnis für drei‘ (1982), ‚Raven’s Wind‘ (1983), ‚Birds of a Feather‘ (1985), ‚Table Number Seven‘ (1987);

Rex Carver-Serie: ‚The Whip Hand‘ (1965), ‚Doubled in Diamonds‘ – ‚Die Opiumbarke‘ (auch unter dem Titel ‚Die Opium-Barke‘, 1966), ‚The Python Project‘ – ‚Kennwort Pythonschlange‘ (1967), ‚The Melting Man‘ – ‚Experiment mit dem Terror‘ (1968).