(1977)

Sven Heuchert wurde in Troisdorf, Nordrhein-Westfalen, geboren und wuchs in dem nahe gelegenen Provinzstädtchen Siegburg auf, wo er, unterbrochen durch einen zehnjährigen Augenthalt in Köln und vielen Reisen, auch heute lebt und seinen Lebensunterhalt hauptsächlich als Handwerker bestreitet. 2015 erschien mit ‘Asche’ seine erste von bisher drei – der Tradition des “Dirty Realism” folgenden – Geschichtensammlungen. Inspiriert durch Pete Dexters grandiose Romane, begab sich der leidenschaftliche Jäger im Jahr 2017 mit ‘Dunkels Gesetz’ erstmals auf die lange Strecke. 2019 gründete er den Independent Verlag Zinn Books. Anfang 2023 kam sein dritter – in Ontario spielender – Roman ‘Das Gewicht des Ganzen’ heraus. Darüber hinaus war Heuchert Songkomponist und Gitarrist in verschiedenen Rock- und Folkbands.

‘Dunkels Gesetz’ spielt auf dem Areal einer stillgelegten Grube im Niemandsland zwischen Köln und der belgischen Grenze. Im Hauptgebäude “lagen ein paar tote Mäuse zwischen den Zementbrocken, Kabel hingen von der Decke, auf den Böden zerdrückte Getränkedosen, vergilbte Zeitungen und leere Zigarettenschachteln. Jahrzehnte des Verfalls.” Vor kurzem hat man da die Reste eines zehnjährigen Jungen gefunden, “die Wildschweine haben nicht viel von ihm übrig gelassen” – Heucherts harter Noir ist nichts für schwache Nerven. Der schmierige Tankstellenbesitzer und Gelegenheitsdealer Achim, in dessen Wohnung eine namenlose Prostituierte mit ihrer sechzehnjährigen Tochter Marie untergekommen ist, will bei dem Provinz-Mobster Falco einsteigen, denn der hat was am Laufen, etwas mit Drogen. Katalysator der Geschichte ist der ausgebrannte, fatalistische Ex-Söldner Richard Dunkel, der seit dem “Unfalltod” des zehnjährigen Jungen für die Sicherheit der Grube zuständig ist – eine kanadische Firma will sich hier eine goldene Nase verdienen. Als Dunkel bereits am ersten Arbeitstag vor Ort auf eine Drogenküche stösst, kommt er Falcos Gang massiv in die Quere – das Ödland wird Schauplatz einer blutigen Auseinandersetzung, die nur wenige Überlebende sieht. Heuchert schildert die Geschehnisse in der gottverlassenen Region in einem kompromisslosen, radikal verknappten, mit Slangausdrücken und abgehackten Dialogen gespickten Stil, Vergangenheit und Gedankenwelt seiner Figuren beleuchtet er nur in winzigen Einsprengseln.

‘Alte Erde’, ein düsteres Kammerspiel um eine Handvoll Figuren, spielt ebenfalls in der Nähe der deutsch-belgischen Genzen, wo die Zeit scheinbar stehengeblieben ist. Seit dem weit zurückliegenden Unfalltod ihres Sohnes führen der Revierjäger Wouter Bisch und seine Frau Margot hier eine trostlose Ehe. Auch Karl lebt in dieser Gegend, ein harter, naturverbundener Sonderling. “Weisst du, wann alles vor die Hunde gegangen ist? Als die Menschen angefangen haben, Mauern um ihr Land zu ziehen, als sie ein Mass für alles fanden, einen Wert.” Er bewohnt das elterliche Haus allein, bis sein Bruder Thies mit einem Koffer voll rechtswidrig erworbenem Geld nach vierzehn Jahren erstmals wieder auftaucht, begleitet von der jungen Prostituierten Monique, die Karl sofort den Kopf verdreht. Die Atmosphäre wird weiter aufgeheizt, als Karl die Scheine seines Bruders verbrennt. Und als bekannt wird, dass ein Internetkonzern die Parzellen erworben hat, um darauf ein zentrales Warenlager einzurichten. In kurzen, zwischen Perspektiven und Zeiten hin und her springenden Kapiteln schildert Heuchert das konfliktgeladene Bezehungsgeflecht, lässt sich viel Zeit mit detailreichen Schilderungen der achaischen Natur und der Entwicklung einer bedrohlichen Atmosphäre, bis sich die Spannung in einem fulminanten – etwas unübersichtlichen – Finale entlädt.

Bibliografie:

‘Dunkels Gesetz’ (2017), ‘Alte Erde’ (2020).