(1904-1991)

Graham Greene kam als viertes von sechs Kindern in Berkhamstead, einem Städtchen nordwestlich von London, zur Welt und besuchte dort die Schule, an der sein Vater Rektor war. Er sah sich deshalb stets der Gefahr ausgesetzt, als Verräter zu gelten – den Mitschülern oder aber dem Vater gegenüber. Nach Beendigung der konfliktgeladenen Schulzeit ging Greene nach Oxford, wo er am Balliol College Geschichte studierte und nebenbei Gedichte, Kurzgeschichten und Zeitungsartikel veröffentlichte. 1924 reiste er als eine Art Spion für die Deutschen in das besetzte Rheinland.

Mit zweiundzwanzig Jahren konvertierte Greene zum Katholizismus – mehr, um seine katholische Frau Vivien heiraten zu können, als aus echter Überzeugung (sein Roman ‚Die Macht und die Herrlichkeit‘ landete gar auf dem vatikanischen Index der verbotenen Bücher). Kurz danach trat er in die Redaktion der ‚Times‘ in London ein (in dieser Zeit verfasste er seinen ersten Roman ‚Zwiespalt der Seele‘). In den 30er- und frühen 40er-Jahren schrieb er – neben weiteren Romanen – unzählige Film-, Buch- und Theaterkritiken.

Graham Greene, ein scharfer Kritiker des Kolonialismus mit einer Schwäche für Frauen und Alkohol, war während des Zweiten Weltkriegs als Angehöriger des Foreign Office in Sondermissionen in Westafrika unterwegs (höchst wahrscheinlich hat er bis ins hohe Alter inoffiziell für den britischen Geheimdienst gearbeitet). Nachdem er längere Zeit in Nizza gelebt hatte, liess er sich in den späten 80er-Jahren in Vevey am Genfersee nieder, wo er 1991 starb.

Seit seiner frühen Kindheit von einer seltsamen Mischung aus Tristesse und Angst vor Langeweile gequält, experimentierte Greene als Jugendlicher mit Giften, spielte angeblich russisches Roulette mit der Pistole eines Freundes und unterzog sich bereits mit sechzehn einer Psychoanalyse. Später zog es ihn immer wieder in Krisengebiete, „an den Abgrund des Lebens“ – nur dort fühlte er sich lebendig. Seine abenteuerlichen Reisen führten ihn unter anderem nach Mexiko, wo er Zeuge der Kirchenverfolgung war, nach Kuba, Panama, Haiti, Paraguay, Argentinien, Westafrika, Indonesien und Vietnam.

Greene unterteilte seine Prosa lange Zeit – wohl eher spielerisch – in ernste („serious fiction“) und unterhaltende (’entertainments’) Literatur. Dabei sind seine Romane (mit Ausnahme des unausgegorenen Frühwerks) durchwegs unterhaltsam, fast immer ernst – und erst noch unerhört spannend. Geschickter Handlungsaufbau, glänzender Stil, plastische Zeichung von Schauplätzen und Charakteren waren Greenes Markenzeichen. Seine Gestalten stehen selten auf der Sonnenseite: Es sind Gestrauchelte, die sich auf der Flucht befinden, Zweifler und Heimatlose auf der Suche nach einem Lebenssinn, einsame Spione, Selbstmörder – traurige Menschen, doch gerade ihnen galt Greenes Mitgefühl. Darüber hinaus schuf der Autor eine lebendige Chronik des zwanzigsten Jahrhunderts.

Greene war ein vielseitiger Autor. Ausser seinen sechsundzwanzig (fast ausnahmslos verfilmten Romanen verfasste er vier Erzählbände und acht Dramen, ferner Essays, Reiseberichte und Kinderbücher. 1971 veröffentlichte er den ersten Teil seines aufregenden Lebenslaufs (‚Eine Art Leben‘), der zweite Teil (’Fluchtwege’) folgte 1980. In den letzten Jahren ist es erstaunlich still geworden um ihn und sein Werk.

‚Das Attentat‘ ist die düstere, multiperspektivisch angelegte Geschichte des Profikillers Raven, dessen Gesicht durch eine Hasenscharte entstellt ist. Sein Hit betrifft einen alten Minister, und die Tat könnte einen Weltkrieg auslösen. Als er herausfindet, dass der Auftraggeber ihn hereingelegt hat, wird er gleichzeitig zum Jäger und Gejagten mit Detective Sergeant Mather als Widersacher und dessen warmherziger Freundin Anne, auf die Raven zufällig trifft, zwischen den Fronten.

Angesiedelt im bombardierten London des Frühjahrs 1941, überzeugt ‚Zentrum des Schreckens‘ als tiefgründige psychologische Studie im Gewande eines düsteren Spionagethrillers. Der bereits als kleines Kind von Mitgleid gequälte verwitwete Journalist Arthur Rowe, seine neue und grosse Liebe Anna Helf und deren fanatischer – dem als „Organisation der freien Mütter“ getarnten deutschen Agentenring vorstehender – Bruder bekleiden die Hauptrollen.

Graham Greene im Vorwort zu seinem berühmtesten Roman: „Der dritte Mann wurde nicht geschrieben, um gelesen, sondern um gesehen zu werden. Tatsächlich ist der Film (von Carol Reed) besser als die Erzählung, denn er stellt in diesem Fall die endgültige Fassung der Erzählung dar.“ Stimmt. Der Plot ist bekannt: Der gewissenlose Amerikaner Harry Lime (Orson Welles mit seinem dämonischen Lausbubengesicht) schmuggelt gestrecktes Penicillin in das zerstörte, in vier Zonen aufgeteilte Wien. Nach Limes angeblichem Unfalltod begibt sich sein Schulfreund Martins auf Spurensuche, entdeckt Ungereimtheiten. Anton Karras‘ auf der Zither gespieltes Harry-Lime-Thema untermalt den Showdown in einer Sessel des Prater-Riesenrads und im Labyrinth der Wiener Kanalisation.

‚Der stille Amerikaner‘, eines von Greenes bedeutendsten Werken, spielt in Saigon zur Zeit des französischen Indochinakrieges. Im Mittelpunkt stehen zwei Männer, die in dieselbe Frau, die wunderschöne Phuong, verliebt sind: Thomas Fowler, Ende fünfzig, ein fatalistischer englischer Zeitungskorrespondent, als unzuverlässiger Ich-Erzähler; und der „stille Amerikaner“ Alson Pyle ein junger, naiver Mann aus einer Bostoner Professorenfamilie, der sich, wie er glaubt, für eine Wirtschaftshilfe-Organisation engagiert, in Wahrheit jedoch der CIA dabei hilft, den Hass auf die Kommunisten zu schüren – und der zu Beginn der (nicht chronologisch erzählten) Geschichte gewaltsam ums Leben kommt. Auf intelligente und vielschichtige Weise befasst sich Greene mit den Themen Freundschaft, Liebe, Loyalität und Verrat vor dem Hintergrund des undurchsichtigen Konflikts, der das Ende der französischen Kolonialherrschaft einläutet, derweil die Amerikaner – zehn Jahre vor dem Vietnamkrieg – ihre Muskeln erstmals auch im asiatischen Raume spielen lassen. Nach Veröffentlichung dieses Romans wurde Greene bis ans Lebensende durch die CIA im Auge behalten.

Der abgebrannte britische Staubsaugerverkäufer Mister Wormold, allein erziehender Vater der verschwenderischen siebzehnjährigen Milly, und sein zechfreudiger alter Freund Doktor Hasselbacher sind die Protagonisten der Agentenposse ‚Unser Mann in Havanna‘ – und Greenes wohl kauzigste Figuren. Seit vielen Jahren in Havanna ansässig, werden sie kurz vor Castros Machtübernahme in abenteuerliche Geheimdienstspiele verwickelt. Wormold, der von Politik keine Ahnung hat, soll für sein Land ein Agententeam aufbauen, das den MI6 mit wertvollen Informationen über die unübersichtlichen Machtverhältnisse in der Karibik versorgt. Kurzerhand kreiiert er ein Netz von fiktiven Mitarbeitern, die er, um nicht aufzufliegen, mittels fingierten Todesfällen gleich wieder aus dem Verkehr zieht. Als auch zwei real existierende Männer – unter ihnen Hasselbacher – und ein Hund gewaltsam ums Leben kommen, wächst ihm die Sache über den Kopf, und er kehrt mit seiner Tochter und einer lieben Frau nach England zurück.

‚Der Honorarkonsul‘ – Schauplatz nordargentinische Provinz an der Grenze zu Paraguay, Anfang der Siebzigerjahre. Zwei gegensätzliche Männer – typische Greene-Figuren – stehen im Mittelpunkt: Der versoffene und schwermütige sechzigjährige englische Honorarkonsul Charley Fortnum, der vor kurzem die achtzehnjährige Clara, noch ein halbes Kind, aus einem Bordell freigekauft und geheiratet hat. Und der gefühlskalte praktizierende Arzt Eduardo Plarr – Sohn einer paraguayischen Mutter und eines britischen Vaters -, der mit Clara eine Affäre beginnt und sie ungewollt schwängert. Dazu kommen paraguayische Rebellen (unter ihnen Plarras Jugendfreund Leon Rivas, ein ehemaliger Priester), die den US-amerikanischen Botschafter entführen wollen, um ihn gegen politische Häftlinge auszutauschen, versehentlich jedoch den Honorarkonsul erwischen und damit eine Reihe von verhängnisvollen Geschehnissen ins Rollen bringen. Diese Konstellationen benützt Graham Greene, der diesen Roman für seinen besten hielt, für eine vielschichtige, packende Geschichte über Betrug, Gewissenskonflikte und die Schwierigkeit moralischen Verhaltens. Richard Gere als Plarr und Michael Caine als Fortnum sind die Hauptdarsteller in John Mackenzies durchzogener Verfilmung.

Bibliografie:

‚The Man Within‘ – ‚Zwiespalt der Seele‘ (1929), ‚Stamboul Train‘ – ‚Orientexpress‘ (1932), ‚It’s a Battlefield‘ – ‚Das Schlachtfeld des Lebens‘ (auch unter dem Titel ‚Schlachtfeld des Lebens‘, 1934), ‚England Made Me‘ (auch unter dem Titel ‚The Shipwrecked‘) – ‚Ein Sohn Englands‘ (1935), ‚A Gun for Sale‘ (auch unter dem Titel ‚This Gun for Hire‘) – ‚Das Attentat‘ (1936), ‚Brighton Rock‘ – ‚Am Abgrund des Lebens‘ (1938), ‚The Confidental Agent‘ – ‚Jagd im Nebel‘ (1939), ‚The Power and the Glory‘ (auch unter dem Titel ‚The Labyrinthine Ways‘) – ‚Die Macht und die Herrlichkeit‘ (auch unter dem Titel ‚Die Kraft und die Herrlichkeit‘, 1940),’The Ministry of Fear‘ – ‚Zentrum des Schreckens‘ (1943), ‚The Heart of the Matter‘ – ‚Das Herz aller Dinge‘ (1948), ‚The Third Man‘ – ‚Der dritte Mann‘ (1950), ‚The End of the Affair‘ – ‚Das Ende einer Affäre‘ (auch unter dem Titel ‚Der Ausgangspunkt‘, 1951), ‚Loser Takes All‘ – ‚Heirate nie in Monte Carlo‘ (1954), ‚The Quiet American‘ – ‚Der stille Amerikaner‘ (1955), ‚Our Man in Havana‘ – ‚Unser Mann in Havanna‘ (1958), ‚A Burnt-Out-Case‘ – ‚Ein ausgebrannter Fall‘ (1960), ‚The Comedians‘ – ‚Die Stunde der Komödianten‘ (1966), ‚Travels with My Aunt‘ – ‚Die Reise mit meiner Tante‘ (1969), ‚The Honorary Consul‘ – ‚Der Honorarkonsul‘ (1973), ‚The Human Factory‘ – ‚Der menschliche Faktor‘ (1978), ‚Doctor Fischer of Geneva Or the Bomb Party‘ – ‚Dr. Fischer aus Genf oder die Bombenparty‘ (1980), ‚Monsignor Quixote‘ – ‚Monsignore Quijote‘ (1982), ‚The Tenth Man‘ – ‚Der Zehnte Mann‘ (1985), ‚The Captain and the Enemy‘ – ‚Ein Mann mit vielen Namen‘ (1988).