(1902-1961)
Kenneth Flexner Fearing wurde als Sohn eines renommierten Anwalts und einer jüdischen Mutter in Oak Park, Illinois, geboren. Die Ehe wurde kurz nach seiner Geburt geschieden, worauf er abwechslungsweise bei seinem Vater und bei einer Tante aufwuchs und Privatschulen besuchte. Von 1920 bis 1924 studierte er Englisch an der University of Illinois und der University of Wisconsin. Anschliessend arbeitete er in Chicago als Polizeireporter, bis er sich endgültig in New York niederliess und vorerst weiterhin journalistisch tätig war. Seinen Lebensunterhalt bestritt er jedoch hauptsächlich mit Sex-Stories, die er unter diversen Pseudonymen in Pulp-Heftchen unterbrachte. Darüber hinaus machte Fearing, den man in Greenwich Village als “drunken poet” oder “chief poet of the American Depression” bezeichnete, mit seinen Gedichtbänden von sich reden.
Zwischen 1939 und 1960 verfasste er sieben Spannungsromane, aus denen der Noir-Thriller ‘The Big Clock’ hervorsticht, sein einziges Werk, das auch auf Deutsch vorliegt (‘Die grosse Uhr’, Erstveröffentlichung 2023 im Elsinor Verlag) und zweimal verfilmt wurde: 1948 von John Farrow mit Ray Milland und Charles Laughton in den Hauptrollen (‘The Big Clock’), und 1976 von Roger Donaldson mit Kevin Costner und Gene Hackman (‘No Way Out’).
‘Die Grosse Uhr’ spielt in einem fiktiven New Yorker Grossverlag, dessen massentaugliches Konzept der Autor im ersten Drittel des Romans gründlich auseinandernimmt. Ausgangspunkt der aus sieben Perspektiven erzählten Krimihandlung ist ein Mord: Der mächtige Verlagsunternehmer Earl Janoth erschlägt seine untreue Geliebte Pauline Delos bei einem heftigen Streit, kurz nachdem das Paar von einem nicht identifizierbaren Mann vor der Haustür zu Paulines Appartment gesehen wurde. In seiner Not sucht Janoth seinen kaltblütigen Partner Hagen auf, der ihn mit einem Alibi versorgt und dazu drängt, den unbekannten Zeugen ausfindig zu machen, um ihm dann den Mord anzuhängen. Der verheiratete, trinkfeste Frauenverführer George Stroud, Chefredakteur des True-Crime-Blattes ‘Crimeways’, soll sich der Sache annehmen. Ausgerechnet Strout, der mit Pauline Delos ebenfalls eine Affäre hatte – und bei dem es sich um den Zeugen handelt, der für Janoth den Kopf hinhalten soll. Gezwungen zur Jagd auf sich selbst! Trotz Strouds verzweifelteen Versuchen, die Ermittlungen seines aus fünfzig Spezialisten bestehenden Teams auf falsche Fährten zu locken, zieht sich die Schlinge langsam zu.
In seinem Nachwort informiert der Herausgeber Martin Compart umfassend über Leben, Werk und Bedeutung des hierzulande bis anhin völlig unbekannten Autors. Darüber hinaus setzt er sich auf anschauliche Weise mit der philosophischen Bedeutung der “grossen Uhr” auseinander, die Fearing unter anderem als Metapher für eine schnelllebige Konsumgesellschaft verwendet. Oder, in den Worten des Autors: “The big clock ran everywhere, overlooked no none, omitted no one, forgot nothing, remembered nothing, knew nothing. Was nothing.” Einen netten kleinen Gag liess Fearing sich zur Familie Stroud einfallen: Georges Frau heisst Georgina, und ihre gemeinsame Tochter Georgia.
Kenneth Fearing war zweimal verheiratet: 1933-41 mit der Sozialarbeiterin Rachel Meltzer, die 1935 einen Sohn, Bruce, zur Welt brachte, und 1945-52 mit der Künstlerin Nan Lurie, die ihn 1935 porträtiert hatte (das Bild hängt im Museum of Modern Art), und in die er sich während eines Aufenthalts in der Künstlerkolonie Yaddo verliebte. Beide Ehen waren von seinem unkontrollierten Alkoholkonsum überschattet. Mit 58 Jahren erlag er im Lennox Hill Hospital, Manhattan, einer Krebserkrankung.
Bibliografie:
‘The Hospital’ (1939), ‘Dagger in the Mind’ (1941), ‘Clark Clifford’s Body’ (1946), ‘The Big Clock’ – ‘Die grosse Uhr’ (1946), ‘The Loneliest Girl in the World’ (1951), ‘The Generous Heart’ (1954), ‘The Cozart Story’ (1960).