(1950-2022)
Peter Robinson, geboren in Castlefield, Yorkshire und aufgewachsen in Leeds als Sohn einer Hausfrau und eines Fotografen, studierte Englische Literatur an der University of Leeds, Abschluss 1974. Anschliessend wanderte er nach Kanada aus, wo er einen Master in Anglistik und Kreativem Schreiben an der University of Windsor, Provinz Ontario, und einen Doktortitel in Anglistik an der York University in Toronto erwarb. Anfang der 80er-Jahre begann er zu schreiben. Er lebte mit seiner Frau, der kanadischen Anwältin Sheila Halladay, in Toronto, verbrachte jedoch jedes Jahr einige Monate in seinem Cottage in Richmond, North Yorkshire, um sich für seine Romane inspirieren zu lassen und Zeit mit seinen Verwandten zu verbringen. Nach kurzer Krankheit starb er 70-jährig in Toronto.
Nach zwei Lyrikbänden veröffentlichte Robinson 1987 seinen ersten Kriminalroman. Im Mittelpunkt steht Detective Chief Inspector Alan Banks – eine feinfühlige, kultivierte, eher introvertierte und von Selbstzweifeln geplagte Persönlichkeit mit (seit der Trennung von seiner Gattin, Sandra, die, im Fortgang der Reihe ein Kind von einem anderen Mann erwartet) einem Hang zu komplizierten Frauengeschichten, ein ausgezeichneter, integrer, von seinem Beruf besessener Polizist, der jeweils tiefes Mitleid für die Opfer empfindet und den die Hintergründe eines Verbrechens mehr interessieren als die Entlarvung des Täters. Ein gut gefülltes Glas Single Malt Wihisky, Actionfilme sowie Musik aus seiner höchst umfangreichen und vielfältigen Schallplattensammlung helfen ihm bei der Verarbeitung der Kriminalfälle. Die bis 2021 auf 27 Bände angewachsene Alan Banks-Serie spielt indes nicht in Kanada, sondern in Robinsons alter Heimat, dem ländlichen North Yorkshire: in der fiktiven – Richmond nachgezeichneten – Kleinstadt Eastvale, wohin sich Banks von London versetzen liess, als er die Gewalt in der Grossstadt nicht mehr ertragen konnte. Seine Tochter Tracy und sein Sohn Brian verschwinden im Fortgang der Reihe allmählich von der Bildfläche.
Der Autor besticht in seinen komplexen, oft weit in die Vergangenheit zurückreichenden Romanen mit raffinierter Handlungsführung, einem scharfen Blick für soziale und politische Missstände in der englischen Gesellschaft, einfühlsamer Beschreibung seiner männlichen und weiblichen Figuren und wunderbaren Landschafts-Schilderungen. Zu seinen stärkten Werken zählen ‘In einem heissen Sommer’, ’Wenn die Dunkelheit fällt’ und ‘Kein Rauch ohne Feuer’ – in einer schlichten Sprache erzählte Mixturen aus Polizeiroman und psychologischer Studie.
‘In einem heissen Sommer’ dreht sich um einen Mordfall aus dem Zweiten Weltkrieg und seine Auswirkungen auf die Gegenwart der 90er-Jahre. Das nordenglische Dorf Hobb’s End wurde kurz nach dem Krieg zu Gunsten eines Stausees überflutet. Fast fünfzig Jahre später, während eines ungewöhnlich heissen und trockenen Sommers, findet ein Teenager in diesem Gelände das Skelett einer ungefähr 25-jährigen, offensichtlich ermordeten Frau. Alan Banks, den sein Vorgesetzter Chief Constable Riddle für neun Monate zu einem Schreibtischjob verdonnert hatte, und seine neue Parterin, die junge, attraktive Annie Cabbot, mit der er sich auf eine Beziehung einlässt, sollen das Verbrechen aufklären – eine höchst undankbare Aufgabe, gibt es doch nur noch vereinzelte Zeugen dieser Zeit. Aus einer anderen Perspektive blickt die Krimiautorin Vivian Emsley zurück auf die 40er-Jahre, als sich amerikanische Soldaten mit den einheimischen Mädchen rumtrieben, und auf das von Verdunkelung und Bombenalarm geprägte Leben in Hobb’s End, an das sie sich nur ungern zu erinnern scheint. Spielte sie damals in dem blutigen Drama eine entscheidende Rolle? Ist sie überhaupt die, die sie vorgibt, zu sein? Die Spuren ihrer akribischen Ermittlungen führen Banks und Cabbot zu dem damals frisch vermählten Paar Gloria und Matthews, das eine glückliche Ehe führte, bis Matthews eingezogen wurde, um gegen die Japaner zu kämpfen, dabei in Gefangenschaft geriet, gefoltert wurde und 1945 als seelisches und körperliches Wrack in sein Heimatdorf zurückkehrte. Die lebenslustige Gloria opferte sich daraufhin für ihren Mann auf, bis sie eines Tages verschwand – und nie mehr gesehen wurde. Fünf Jahre später schoss Mathews sich eine Kugel in den Kopf.
Im zwölften Band ’Wenn die Dunkelheit fällt’, einer düsteren, mit häufigen Szenenwechseln erzählte Geschichte über missbrauchte Frauen, über Opfer, die sich in Täter verwandeln, werden die Polizeianwärterin Janet Taylor und ihr junger Kollege Dennis Morrissey eines Nachts in das Haus des jungen Ehepaars Lucy und Terence Payne (sie Bankangestellte, er Lehrer) gerufen, weil dort offenbar ein Ehekrach im Gange ist – und geraten jäh in einen Alptraum: Lucy liegt mit Kopfverletzungen bewusstlos im Flur, im Keller befindet sich nackt, gefesselt und erdrosselt die sechzehnjährige. seit zwei Tagen vermisste Kimberley Myers, Terence stürzt sich mit einer Machete auf Dennis und tötet ihn, worauf Janet ihm den Schädel einschlägt und ihn rasend vor Angst und Wut mit ihrem Knüppel weiter traktiert, wenngleich sie ihn schon gefesselt hat. Später stossen Alan Banks und sein Team auf die Leichen von fünf weiteren Frauen, alle schlank, blond und im Teenageralter, vergraben unter dem Kellerboden oder im Garten. Während Terence nach einigen Tagen seinen Verletzungen erliegt, beruft sich Lucy auf eine retrograde Amnesie, um nicht aussagen zu müssen. Im Verlauf der Recherchen, an der auch die Psychologin Jenny Fuller teilhat und die Illustratorin Maggie Forrest, die Nachbarin des Ehepaars Payne, eine etwas zwielichtige Rolle spielt, erfährt Banks, dass Lucy unter unsäglichen Bedingungen aufgewachsen ist. Als schliesslich Kimberleys Blut an Lucys Morgenmantel nachgewiesen wird, nimmt der Fall eine unerwartete, aber durchaus plausible Wendung.
In Robinsons zweitletztem ins Deutsche übersettem Krimi ‘Kein Rauch ohne Feuer’ ermitteln Alan Banks und Annie Cabbot, die ihre Liebesbeziehung kürzlich beendet haben, einen Fall von Brandstiftung. Der erfolglose Maler Tom McMahon und die junge, drogenabhängige Tina Aspern kamen in ihren “geborgten” Hausbooten auf einem Kanal in Yorkshire ums Leben, während Tinas Freund Mark Siddons die Nacht bei einer anderen Frau verbrachte. An Verdächtigen fehlt es nicht, unter ihnen auch Tinas Stiefvater, ein angesehener Arzt, der sie möglicherweise sexuell missbraucht hat, der einfältige Schleusenwärter Andrew Hurst, dem die Hausboot-Besetzer schon immer ein Dorn im Auge waren, aber auch zwei Unbekannte, die den Künstler in letzter Zeit mehrmals besucht haben. Als der arbeitslose Eigenbrötler Rudolf Gardiner in seinem schäbigen Wohnwagen ebenfalls im Feuer ums Leben kommt, stellt sich die Frage nach der Verbindung zwischen den beiden verbrannten Männern. Der Verdacht fällt auf eine Bildfälscher-Bande, und ausgerechnet Annies neue Flamme, der Kunstexperte Phil Keane, wird zu Banks’ Missfallen als Berater beigezogen. In einem Nebenstrang beleuchtet Robinson die Beziehungsmuster innerhalb der hochgradig dysfunktionalen Familie Aspern.
Bibliografie:
Chief Inspector Alan Banks-Serie:
‘Gallow View’ – ‘Falle für Peeping Tom’ (auch unter dem Titel ’Augen im Dunkeln’, 1987), ‘A Dedicated Man’ – ‘Eine respektlose Leiche’ (1988), ‘A necessary End’ – ‘Ein unvermeidlicher Mord’ (1989), ‘The Hanging Valley’ – ‘Verhängnisvolles Schweigen’ (1989), ‘Past Reason Hated’ – ‘In blindem Zorn’ (1991), ‘Wednesdy’s Child’ – ‘Das verschwundene Lachen’ (1992), ‘Dry Bones That Dream’ (auch unter dem Titel ‘Final Account’ – ‘Die letzte Rechnung’ (1994), ‘Innoent Graves’ – ‘Der unschuldige Engel’ (1996), ‘Dead Right’ (auch unter dem Titel ‘Blood at the Root’) – ’Das blutige Erbe’ (1997),’In a Dry Season’ – ‘In einem heissen Sommer’ (1999), ‘Cold Is the Grave’ – ‘Kalt wie das Grab’ (2000), ‘Aftermath’ – ‘Wenn die Dunkelheit fällt’ (2001), ‘Ein seltener Fall’ (2003), ‘Playing with Fire’ – ’Kein Rauch ohne Feuer’ (2004), ‘Strange Affair’ – ’Eine seltsame Affäre’ (2005)’ ‘Piece of My Heart’ (2005), ‘Friend of the Devil’ (2007), ‘All the Colours of Darkness’ (2008), ‘Bad Boy’ (2010), ‘Watching the Dak’ (2012), ‘Children of the Revolution’ (2013), ‘Abattoir Blues’ (auch unter dem Titel’ ‘In the Dark Places’ (2014), ‘When the Music’s Over’ (2016), ‘Sleeping in the Ground’ (2017), ‘Careless Love’ (2018), ‘Many Rivers to Cross’ (2019), ‘Not Dark Yet’ (2021);
Einzelwerke:
‘Caedmon’s Son’ (auch unter dem Titel’ Going Back’) – ’Das stumme Lied’ (auch unter dem Titel ‘Eine Frau sieht rot’, 1990), ‘Summar Rain’ (2015), ‘The Good Partner’ (2016).
Bei jeder neuen Vorschau-Phase hoffe ich vergeblich auf eine Neuauflage, denn von Robinson fehlt mir noch eine ganze Menge im Regal. Ähnliches gilt für die frühen Pascoe/Dalziel-Bände von Reginald Hill.
…und für John Harvey (Charlie Resnick, Frank Elder).
Stimmt, den hatte ich vergessen.