(*1954)

Karin Fossum, geboren in der südnorwegischen Küstensadt Sandefjord, arbeitete in den 70er-Jahren als Taxichauffeurin und verfasste nebenbei Gedichte und Kurzgeschichten. Nach der Geburt von zwei Töchtern legte sie eine vierzehn Jahre lange schöpferische Pause ein und bestritt ihren Lebensumterhalt auf psychiatrischen Stationen. Danach veröffentlichte sie zwei Erzählbände. Heute lebt sie am Tyrifjorden, einem grossen Binnensee bei Oslo, und widmet sich vorrangig dem Schreiben von Romanen, Erzählungen, Gedichten und Essays.

Die bisher 13-teilige, in der norwegischen Provinz angesiedelte Konrad Sejer & Jacob Skarre-Serie steht im Mittelpunkt ihres Schaffens, wobei die Autorin den Opfern, Tätern, Verdächtigen und Zeugen stets fast ebenso viel Raum gibt wie den beiden gegensätzlichen Polizisten – Hauptkommissar Sejer, der besonnene, kluge, knapp zwei Meter grosse Witwer (seine innig geliebte Frau Elise starb vor zehn Jahren an Krebs), ein aufmerksamer Beobachter und Meister des ausgefuchsten Verhörs, dem seine Tochter Ingrid und deren adoptierter somalischer Junge Matteus am nächsten stehen, und sein rund zwanzig Jahre jüngerer, alleinstehender, unverschämt gutaussehender und freundlicher, aber etwas farblos wirkender Assistent Jacob Skarre, die gut miteinander auskommen, auch wenn sie ausser der Arbeit wenig gemeinsam haben.

Im dritten Band ‚Wer hat Angst vorm bösen Wolf‘, unter dem Titel ‚Wer den Wolf fürchtet‘ als Hörspiel adaptiert, hat sich Seyer mit zwei Fällen zu befassen: Vor seinen Augen geschieht ein bewaffneter Banküberfall mit Geiselnahme. Kurz zuvor ist die alte Eigenbrötlerin Haldis Horn auf ihrem entlegenen Hof mit einer Unkrauthacke erschlagen worden, Kannick Saldingen, ein fetter Zwölfjähriger, der in einem Heim für schwer erziehbare Jungen lebt, findet Haldis‘ Leiche und sieht Errki Johrmy, einen an Schizophrenie erkrankten, vor wenigen Stunden aus der nahe gelegenen Klinik ausgebüxten jungen Mann, gerade noch zwischen den Bäumen verschwinden – Errki, der sich später als Geisel des fast gleichaltrigen Räubers Morgan erweist. Die Geschichte changiert zwischen knapper Darstellung von Polizeiarbeit und einfühlsamen Schilderungen der Beziehung, die sich zwischen den beiden Aussenseitern Errki und Morgan entspinnt, und mündet in ein überraschendes Finale. Darüber hinaus beleuchtet Fossum Sejers Innenlebens, der sich erstmals seit dem Tod seiner Frau verliebt – in Errkis Psychiaterin Sara Struel.

‚Dunkler Schlaf‘ handelt von den 18-jährigen Freunden Andreas und Zipp, Im Geiste halbe Kinder noch, die ziellos vor sich hin leben. Andreas, der verzweifelt versucht, seine Homosexualität zu verbergen, sorgt mit kleineren Delikten dafür, dass ihnen stets genügend Bargeld für Feten, Videos, Bier und Joints zur Verfügung steht. Doch diesmal geht alles schief: Bei seinem Raubüberfall auf die 60-jährige, vereinsamte, von ihrem Mann verlassene Irma Funder, setzt sich diese erfolgreich zur Wehr und nimmt Andreas gefangen – schwer verletzt liegt er in ihrem Keller und wartet auf seinen wohl unausweichlichen Tod, während Sejer und Skarre sein spurloses Verschwinden ermitteln, Frau Funder und Zipp mit ihren Fragen in die Ecke drängen.. Aus wechselnden Blickwinkeln, mit vielen Zeitsprüngen blickt Fossum in seelische Abgründe und erzählt eine tieftraurige Geschichte, in der die Grenzen zwischen Opfern und Tätern verschwimmen.

Gunder Jomann, Anfang fünfzig, hat ausser seiner drei Jahre jüngeren Schwester Marie keine Verwandten mehr. Er ist ein liebenswerter, zielstrebiger, kräftiger Landmaschinenverkäufer in der norwegischen Provinz und sehnt sich nach einer indischen Lebensgefährtin, die er auf Händen tragen würde. Um sich seinen Wunsch zu erfüllen, fliegt er nach Mumbai, wo er nach einigen Tagen die 38-jährige Kellnerin Poona kennenlernt und sogleich heiratet, obwohl sie ihm erst zwei Wochen später folgen kann. Kaum zuhause angekommen, verliert er jäh den Boden unter den Füssen: Am Tag, als Poona in Norwegen vergeblich erwartet wird, erleidet Marie einen Verkehrsunfall mit schweren Gehirnverletzungen, und wenig später werden Sejer und Skarre an einen Tatort gerufen – die furchtbar zugerichtete Leiche einer nicht mehr identifizierbaren fremdländischen Frau liegt vor ihnen auf der Wiese. Ein schier unlösbarer Mordfall, denn alle potentiellen Zeugen schweigen, ausser der blutjungen Linda, die sich in Skarre verknallt und ihm mit fragwürdigen Aussagen die Arbeit erschwert; zudem ist kein Motiv ersichtlich. ‚Stumme Schreie‘ wechselt zwischen fruchtlosen Verhören, einfühlsamen Beschreibungen der involvierten Figuren, Gunders tieftraurigen inneren Monologen, Gerüchten und klitzekleinen Entdeckungen wie Spuren eines weissen Pulvers, das in Poonas Haar gefunden wird. Schliesslich gesteht ein junger, bis anhin unauffälliger Mann die Tat, zieht sein Geständnis jedoch gleich wieder zurück – der Fall bleibt ungeklärt.

Bibliografie:

Kommissar Konrad Sejer-Serie: ‚Evas oye‘‚Evas Auge‘ (1995), ‚Se deg ikke tilbake!‘ – ‚Fremde Blicke‘ (1996), ‚Den som frykter ulven‘ – ‚Wer hat Angst vorm bösen Wolf‘ (1997), ‚Djevelen holder lyset‘ – ‚Dunkler Schlaf (1998)‘, ‚Elskede Poona‘ – ‚Stumme Schreie‘ (2000), ‚Svarte sekunder‘ – ‚Schwarze Sekunden‘ (2002), ‚Drapet pa Harriet Krohn‘ – ‚Der Mord an Harriet Krohn‘ (2006), ‚Den som noeannet‘ – ‚Wer anders liebt‘ (2008), ‚Den onde viljen‘ – ‚Böser Wille‘ (2011), ‚Varsleren‘ – ‚Eine undankbare Frau‘ (2009), ‚Carmen zita og doden‘ – ‚Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein‘ (2013), ‚Helvetesilden‘ – ‚Höllenrose‘ (2014), ‚Hviskeren‘ – ‚Die Stille bringt den Tod‘ (2016);

Einzelwerke: ‚De gales hus‘ (1999), ‚Brudd‘ (2006), ‚Jeg kan se i morket‘ (2011).