(1939-1999)

George V. Higgins, geboren in Brockton, Massachusetts, als Sohn irisch-amerikanischer Katholiken (beide Lehrer), wuchs dort und in der nahe gelegenen Stadt Rockland auf, wo er 1957 die Highschool abschloss. Er studierte Englisch und Jura am Boston College und an der Stanford University, Kalifornien, und war nebenbei als Journalist und Polizeireporter in Boston und Springfield tätig. Daraufhin arbeitete er lange Jahre gleichzeitig als Kolumnist (‚New York Times‘, ‚Washington Post‘, ‚Boston Globe‘, ‚Wall Street Journal‘, ‚Atlantic Monthly‘ u.a.) und Jurist: Von 1967 bis 1973 als Staatsanwaltschaft, Spezialgebiet Organisiertes Verbrechen, danach bis 1982 in seiner eigenen Bostoner Kanzlei. Unter anderem verteidigte er den Watergate-Verschwörer G. Gordon Liddy und den Bürgerrechtler Eldridge Cleaver. Parallel dazu machte er sich einen Namen als Autor von kleinen schmutzigen Geschichten aus der Bostoner Unterwelt. 1987 wurde er Professor für Kreatives Schreiben an der State University of New York in Buffalo, später unterrichtete er dieses Fach an der Boston University. Neben seinen über zwanzig Romanen, von denen sechs auf Deutsch vorliegen, veröffentlichte er Sachbücher über Politik, Baseball und das Schreiben.

Higgins verstand sich vortrefflich auf schnelle, schnörkellose Handlungsführung. Die Handlung macht indes nur einen verschwindend kleinen Teil seiner Geschichten aus, denn Higgins‘ Domäne war die direkte Rede: Ausufernde Monologe und Dialoge, in denen sich Berufliches (Geld, Einfluss, Verbrechen und Macht) und Privates (Frauen, Familie, Autos und Gebresten) ständig vermischen, unsinniges Gefasel über Banalitäten, Schmieden und Verwerfen von Plänen, Andeuten und Zaudern, Einschüchtern und Schmeicheln – alles im Slang der Strasse, in der Fachsprache der Ganoven. Eine einzigartige, zwischen Hochkomik und Tragik hin und her springende Prosa um kleine Gauner, schmierige Geschäftsleute, grossspurige Gangster, fiese Cops und bestechliche Politiker.

Der literarische Durchbruch gelang Higgins gleich mit seinem ersten, 1971 erschienenen Krimi ‚Die Freunde von Eddy Coyle‘, der wenig später von Peter Yates mit Robert Mitchum verfilmt wurde. In dieser lässig erzählten Geschichte behandelt der Autor sämtliche Aspekte der Waffenschieberei. Ganoven und Terroristen jeder Couleur, aber auch Polizisten und ihre Spitzel sind in die undurchsichtigen Geschäfte verwickelt. Und der kleine Zwischenhändler Eddy „Fingers“ Coyle hat nicht nur Freunde, wie er zu seinem Leidwesen feststellen muss.

In Higgins‘ nachfolgendem Krimi ‚Ausgespielt‘ verzockt Jerry „Digger“ Doherty – eloquenter Familienvater, Besitzer der Bar ‚The Bright Red‘, jüngerer Bruder eines angesehenen Priesters – beim Black Jack in Las Vegas sein kleines Vermögen. Er steht nun mit achtzehn Riesen bei einem Kredithai in der Kreide, und dessen Eintreiber „Der Grieche“ zählt zu den rabiatesten Vertretern seiner Zunft. Doch Digger kann sich auf die Hilfe seiner alten Kumpel Mikey-Mike, Marty und Harrington verlassen. Gemeinsam planen sie ein paar kleine Coups, die ihnen das nötige Bargeld einbringen sollen.

Higgins‘ dritter Krimi ‚Ich töte lieber sanft‘, im Original ‚Cogan’s Trade‘, kam 2012 mit Brad Pitt als Jackie Cogan in die Kinos (‚Killing Them Softly‘). Zwei nicht allzu schlaue Kleinkriminelle überfallen in Boston eine illegale Pokerrunde der Mafia und setzen sich mit üppiger Beute ab. Jackie Cogan, Troubleshooter des Syndikats, soll zum Rechten schauen und die beiden abservieren. Dies das karge Rohmaterial, doch was der Autor daraus macht…

Zu Higgins‘ herausragenden Werken zählt ‚Heisser Abriss‘ (im Original: ‚The Rat on Fire‘), eine figurenreiche, zynische Geschichte, in der soziale Missstände wie beiläufig dargestellt sind und, wie immer bei Higgins, fast pausenlos geredet wird. Der schlaue Rechtsanwalt Jerry Fein und der ebenfalls mit allen Wassern gewaschene Feuerpolizist Bill Malatesta besitzen Wohnhäuser in einem Bostoner Bezirk, der zur Slumgegend geworden ist, keiner zahlt mehr die Miete. Was tun? Ihr Kumpan, der Gangster Leo Proctor, kommt auf die Lösung: Ein Dutzend Ratten einfangen (die Scheissviecher, die sich in den Häusern dick gefressen haben, kommen, so Jerry Fein, ja auch nicht für die Miete auf), mit Benzin übergiessen, freilassen, ein Zündholz anstreichen, und die brennenden Ratten werden versuchen, in die Schlitze zu fliehen, in denen sich die elektrischen Leitungen befinden – Kurzschluss, Grossbrand, Versicherungsgeld einstreichen. Ein perfekter Plan, wenn nicht beim ersten Anschlag ein junger Schwarzer ums Leben gekommen wäre.

Von Higgins‘ vergnüglichem (von 1980 bis 1996 erschienenem) Vierteiler um den ausgekochten, etwas heruntergekommenen Bostoner Strafverteidiger und Ich-Erzähler Jeremiah F. Kennedy, genannt Jerry, ist einzig der erste Band ‚Der Anwalt‘ ins Deutsche übertragen worden – ein exquisiter Lesegenuss mit herrlichen, aus dem Leben gegriffenen Zwiegesprachen. Kennedy, zu Beginn der Reihe Anfang vierzig, lebt mit seiner Frau Joan, genannt Mack, die ihn als „besten schmierigen Strafverteidiger in Boston“ bezeichnet, und ihrer Tochter Heather, genannt Saigon, in einem Haus mit vier Schlafzimmern in Braintree Highlands, Massachusetts, die Familie zerfällt jedoch nach dem zweiten Buch. Seine Klienten sind Typen wie Teddy Franklin, einer der besten Autodiebe der Ostküste (Spezialgebiet Cadillacs), dem leider der Führerschein abhandengekommen ist – ein Polizist soll ihn gegessen haben; Donald French, ein etwas einfältiger Drogenkurier; der schlagkräftige Zuhälter Captain Midnight; Nutten, Pusher und Junkies. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der für vorzügliche Unterhaltung sorgt.

Higgins war zweimal verheiratet, von 1965 bis 1979 mit Elizabeth Mulkerin, danach bis zu seinem Tod mit Loretta Lucas Cubberley, und hatte einen Sohn und eine Tochter aus erster Ehe. Eine Woche vor seinem 60. Geburtstag starb er in seinem Haus in Milton, Massachusetts, an einem Herzinfarkt.

Bibliografie:

‚The Friends of Eddie Coyle‘ – ‚Die Freunde von Eddie Coyle‘ (auch unter dem Titel ‚Hübscher Abend bis jetzt‘, 1971), ‚The Digger’s Game‘ – ‚Ausgespielt‘ (1973), ‚Cogan’s Trade‘ (auch unter dem Titel ‚Killing Them Softly‘) – ‚Ich töte lieber sanft‘ (1974), ‚A City on a Hill‘ (1975), ‚The Judgement of Deke Hunter‘ (1976), ‚Dreamland‘ (1977), ‚A Year or So With Edgar‘ (1979), ‚The Rat on Fire‘ – ‚Heisser Abriss‘ (1981), ‚The Patriot Game‘ (1982), ‚A Choice of Enemies‘ (1983), ‚Imposters‘ (1986), ‚Outlaws‘ (1987), ‚The Sins of the Fathers‘ (1988), ‚Trust‘ (1989), ‚Victories‘ (1990), ‚The Mandeville Talent‘ – ‚Der Fall Mandeville‘ (1991), ‚Bomber’s Law‘ (1993), Swan Boats at Four‘ (1995), ‚A Change of Gravity‘ (1997), ‚The Agent‘ (1999), ‚At End of Day‘ (2000);

Jerry Kennedy-Serie: ‚Kennedy for the Defense‘ – ‚Der Anwalt‘ (1980), ‚Penance for Jerry Kennedy‘ (1985), ‚Defending Billy Ryan‘ (1992), ‚Sandra Nichols Found Dead‘ (1996).