(1947-2020)

Sabine Deitmer kam in Jena, Thüringen, zur Welt und wuchs in Düsseldorf auf. Sie studierte Anglistik, Romanistik und Literaturwissenschaften in Bonn und Konstanz und schrieb ihre Magisterarbeit über die Rezeption von Kriminalromanen am Beispiel von Agatha Christie. Danach arbeitete sie lange Zeit als freie Übersetzerin und in der Erwachsenenbildung, ehe sie sich Ende der 80er-Jahre auf das Schreiben von Kurzgeschichten, Krimis sowie Aufsätzen und Vorträgen zur Kriminalliteratur verlegte und für die Volkshochschule arbeitete. Nach Aufenthalten in Brighton, Bristol, Berlin und am Bodensee lebte Deitmer ab 1978 im Ruhrgebiet. Sie starb 72-jährig in Dortmund. Im April 2022 erschien im AISTHESIS Verlag das von Monika Littau zusammengestellte ‘Lesebuch Sabine Deitmer’. Im September 2022 sprach Sonja Hartl in ihrem Podcast ‘Abweichendes Verhalten’ mit Maike Schmidt über die Krimis der Autorin.

Deitmer sorgte 1988 mit der Geschichtensammlung ’Bye, bye Bruno. Wie Frauen morden’ für Aufsehen, doppelte zwei Jahre später mit ’Auch brave Mädchen tun’s’ nach und startete 1993 ihre jeweils aus zwei Perspektiven erzählte Reihe um die kaltschnäuzige und instinktsichere, vor Ängsten und Selbstzweifeln nicht gefeite Kriminalhauptkommissarin “mein Name ist Stein, Beate Stein” (178 cm gross, grüne Augen, blonde Haarstoppeln) aus einer unbenannten, Dortmund nachgezeichneten Grossstadt. Steins Bezugspersonen sind ihre einzige Freundin, die durch ein Säureattentat erblindete Künstlerin Anna, ihr Langzeitlover Beckmann (“mein Mann für gewisse Stunden”) und ihr umgänglichen Partner Hauptkommissar Andreas Weber, ein stets etwas gestresster Familienvater. Nach dem zermürbenden Berufsalltag sitzt sie jeweils am Fenster ihres Wohnzimmers und gibt sich – eine Flasche Weisswein stets in Griffnähe – ihrem Weltschmerz hin.

Im Erstling ‘Kalte Küsse’ werden Stein und Weber mit einem besonders abscheulichen Fall von Kindsmissbrauch konfrontiert. Ausgangspunkt ist eine männliche Leiche, die in ihre Einzelteile zersägt und eingefroren im Kühlschrank der begüterten – dem Vernehmen nach zwei Wochen zuvor in die Sommerferien abgereisten – Familie Pape aufgefunden wird. Der Tote ist der Hausherr Klaus. Seine deutlich jüngere Frau Silke und ihr fünfjähriges Kind Mirjam sind verschwunden. Bald verdichten sich die Hinweise, dass Silke ihren “sein Töchterchen allzu sehr liebenden” Gatten umgebracht und nach der Tat die Flucht ergriffen hat. Als wenig später auch Silkes grossbürgerlicher Vater abhanden kommt, nimmt der Fall eine dramatische Wendung. Eine wichtige Rolle spielt Silkes von ihren Eltern verstossene, als Domina arbeitende Schwester Eva. Carl Schenkel verfilmte die Geschichte 1997 für das Fernsehen, Marie Baumer als Beate Stein und Jochen Nickel als Weber spielten die Hauptrollen.

‘Dominante Frauen’, Deitmers radikalster, 1995 mit dem Deutschen Krimipreis (zweiter Platz) ausgezeichneter Roman, spielt im Rotlichtmilieu. Vera, Mutter von zwei kleinen Kindern, betreibt ein schickes, perfekt organisiertes Bordell mit vielfältigem Sado-Maso-Angebot und arbeitet selbst als Domina “Madame Claude”, während ihre neue Angestellte Tina sich auf oralen und vaginalen Sex beschränkt – ihr Freund Frank hat sie aus pekuniären Motiven zu dieser Tätigkeit angestiftet. Und dieser allseits beliebte junge Mann wird jetzt stranguliert in seiner Garage aufgefunden. Die Umstände deuten auf einen autoerotischen Unfall. Für Steins Gefühl jedoch ist es Mord – erst recht, als sie erfährt, dass Frank seine Freundin für tausend Mark an drei Typen verhökert hat, um den Austauschmotor für seinen Sportwagen abzugelten. Die Autorin setzt sich in diesem Roman auf differenziert-feministische Weise mit den Themen Prostitution und sexuelle Gewalt auseinander und zeichnet ein schonungsloses Bild der patriarchalischen Gesellschaft.

‘Neon Nächte’ wurde 1999 unter dem reisserischen Titel ‘Der U-Bahn-Schlitzer’ fürs Fernsehen verfilmt. Zwei Strassenbahn-Schaffnerinnen werden kurz nacheinander mitten in der Nacht in einer unteririschen U-Bahn-Station erstochen. Dann wirft sich ein wegen Totschlag vorbestrafter Obdachloser vor einen einfahrenden Zug. Der Fall wird zu den Akten gelegt, doch Stein traut der Sache nicht, erst recht, als ein dritter Mord nach demselben Schema geschieht. Dem wahren Täter kommt sie schliesslich eher zufällig auf die Spur.

‘Scharfe Stiche’ beginnt damit, dass sich eine Frau unter das Skalpell des renommierten, verheirateten Schönheitschirurgen Professor Schneider legt. Kurz danach wird dessen Leiche mit übel zugerichtetem Kopf und angenähten Schweinsohren in einem Plastiksack vor seiner Klinik aufgefunden. Racheakt einer enttäuschten Klientin nach misslungener Operation? Finanzielles Motiv? Die Lösung ist dann doch ein wenig an den Haaren herbeigezogen.

Mit ‘Perfekte Pläne’ beendete Deitmer die Serie. Der erfolgreiche Geschäftsmann Werner Krieger hat mit 73, kurz nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Edith, einen Schlaganfall erlitten. Während der sechswöchigen Reha verfasst er zahlreiche Briefe an die Verstorbene, in denen er sich darum bemüht, selbstkritisch auf sein kleinbürgerliches Familienleben zurückzublicken, auf verpasste Chancen und sein Versagen als Vater – seine beiden Töchter und sein Sohn haben den Kontakt zu ihm nach dem Tod der Mutter abgebrochen. “Kann aus einen dummen alten Mann wie mir noch etwas werden? Lohnt es sich für mich noch Pläne zu machen? Alles noch einmal besser zu machen?” Seine Selbstständigkeit und sein Lebensmut kehren langsam wieder zurück, sodass er sich zu einem mutigen Schritt entschliesst: Er sucht – und findet – eine “neue Familie” und übernimmt bei ihr die Opa-Rolle. Parallel dazu erfahren wir aus der Sicht von Beate Stein, dass sie und ihr Partner Weber völlig ausgepowert sind – er liegt seit drei Wochen den ganzen Tag mit geschlossenen Augen im Bett, ohne auch nur ein Wort mit seinen Anghörigen zu wechseln, und sie quält sich auf Anordnung ihres bornierten Vorgesetzten mit einem “Verbesserungsprojekt” ab, das, gestützt auf ungelöste Fälle, die Qualität der Polizeiarbeit verbessern soll. Als Werner Krieger erstochen in einer Kirche aufgefunden wird, prallen seine alte und seine neue Familie wuchtig aufeinander. Und erwachen Stein und Weber endlich wieder aus ihrer Lethargie.

Bibliografie:

Kommissarin Beate Stein-Serie: ‘Kalte Küsse’ (1993), ‘Dominante Frauen’ (1994), ‘Neon Nächte’ (1995), ‘Scharfe Stiche’ (2004), ’Perfekte Pläne’ (2007).

Mordgeschichten: ‚Bye, bye, Bruno. Wie Frauen morden‘ (1988), ‚Auch brave Mädchen tun’s‘ (1990).