(*1945)

Flavio Steimann wurde als Sohn eines Deutschschweizer Vaters und einer Tessiner Mutter in Emmen, Kanton Luzern, geboren und wuchs auch dort auf. Er war Lehrer und Schulleiter in Willisau und schrieb ab 1966 Gedichte, Kurzgeschichten, die Erzählungen ‚Passgang‘ und ‚Aperwind‘, die Kriminalromane ‚Bajass‘ und ‚Krumholz‘ sowie Theaterstücke, die er zum Teil selbst inszenierte. Steimann lebt in Luzern.

‚Bajass‘ und ‚Krumholz‘ bilden zusammen mit ‚Aperwind‘ eine Trilogie, die in der Zeit des grossen Umbruchs zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, des Übergangs von einer reinen Agrar- zu einer Industriegesellschaft, angesiedelt sind. Den drei Texten gemeinsam ist auch die poetische, kraftvolle, ungemein sinnliche Sprache, die eine konzentrierte Lektüre erfordert.

‚Bajass‘ dreht sich um die Ermordung eines alten, kinderlosen, wegen seiner Raffgier unbeliebten Bauernpaars, das Verdingkinder wie Sklaven gehalten hat. Kommissar Albin Gauch, ein knorriger, von Gebresten geplagter Mann, der den kurz bevorstehenden Ruhestand herbeisehnt, ermittelt das Verbrechen, für das es ausser dem schwachsinnigen Knecht keinen Zeugen gibt. Ein Mantelknopf, ein Foto, auf dem ein etwa zwölfjähriger, den Dorfbewohnern angeblich unbekannter Knabe mit einem viel zu kleinen Anzug und dem Blick eines gefangenen Tiers abgebildet ist, und der Gipsabguss einer Fussspur müssen dem Staatsdiener genügen. Doch dann findet Gauch auf dem Hof in einer Hosentasche einen Zeitungsausschnitt, der Auswanderungswilligen die Überfahrt nach Amerika in einem luxuriösen Dampfer schmackhaft macht. Entgegen allen Vorschriften geht Gauch an Bord und begibt sich auf die lange Reise in die neue Welt. ‚Bajas‘ wurde für die Bühne adaptiert und im Jahre 2020 in Luzern uraufgeführt.

‚Krumholz‘ beruht lose auf einem Mordfall, der sich im Mai 1914 im Kanton Luzern zugetragen hat und im folgenden Jahr mit der Enthauptung des Täters, des früheren Verdingbubs Anselm Lütschert, abgeschlossen wurde. Der erste Teil des schlanken Romans beginnt mit der Geburt der taubstummen Agatha (ihren Namen erfährt sie erst mit sechzehn). Die Mutter stirbt bei der Entbindung, der verzweifelt ums Überleben kämpfende Vater fackelt kurz danach seinen Hof ab und erhängt sich, worauf man das Mädchen in der „Allg. Armen- & Idiotenanstalt St. Ottilien im Fang“ unterbringt. Als junge Frau arbeitet sie in der aufkommenden Textilindustrie, bis sie an Tuberkulose erkrankt und zur Erholung aufs Land geschickt wird, fernab der rauchenden Fabrikkamine. Dort verbringt sie die meiste Zeit mit Stricken und Nähen im nahe gelegenen Wald, im „Krumholz“, aus dem sie eines Tages nicht mehr zurückkehrt. Der zweite Teil der Geschichte gehört dem Streuner Zenz Torecht, auch er eine heimatlose, geschundene Seele. Er verbrachte einige Zeit in Pariser Künstlerkreisen, liess sich danach im „Krumholz“ nieder und bestreitet seinen kargen Lebensunterhalt mit kleinen Diebstählen und anderen Gaunereien. Eines Tages trifft er im Wald zufällig auf Agatha – und setzt ihrem Leben ohne Sinn und Zweck ein Ende, ohne danach auch nur einen Hauch von Reue zu empfinden.

Bibliografie:

Aperwind‘ (Erzählung, 1987), ‚Bajass‘ (2014), ‚Krumholz‘ (2021).