(*1951)

Geboren und aufgewachsen in der irischen Atlantikküstenstadt Galway, studierte Ken Bruen Philosophie am Trinity College in Dublin und wurde in Metaphysik promoviert. Danach arbeitete er fünfundzwanzig Jahre als Englischlehrer in Afrika, Japan, Südostasien und Südamerika. 1979 verbrachte er nach einer Wirtshausschlägerei, an der er offenbar gar nicht beteiligt war, vier unsägliche Monate in einem brasilianischen Gefängnis. Seit 1996 widmet er sich vorrangig dem Verfassen von Noir-Romanen, hin und wieder auch der Schauspielerei. Er ist Mitglied eines Literaturzirkels um Jason Starr, Reed Farrel Coleman und Allan Guthrie und lebt mit seiner Frau Phil und ihrer gemeinsamen, 1989 mit Down-Syndrom geborenen Tochter Grace in Galway.

Bruens Kriminalwerk enthält rund dreissig in einem einzigartigen lakonisch-sarkastischen Stakkato-Stil verfasste – durch ungezählte populärkulturelle Verweise und Zitate aufgewertete – Romane, darunter die bisher siebzehn Bände umfassende Serie um den abgehalfterten Ex-Cop und Privatdetektiv Jack Taylor aus Galway, die siebenteilige Reihe um Tom Brant von der Metropolitan Police Quad im wilden Südosten Londons, deren drei erste Titel auch als White-Trilogie bezeichnet werden, und drei gemeinsam mit dem New Yorker Krimiautor Jason Starr verfasste Krimis, in denen das Gangsterpärchen Max Fisher und Angalea Petrakos den Mittelpunkt bilden.

Auf Deutsch gab es lange Zeit nur zwei frühe Einzelwerke – schnelle, schmutzige Krimis um liebenswürdige Kleingangster, die an die falsche Frau geraten. In ‚Rilke in Black‘ lässt sich der zwei Meter grosse und etwas einfältige Rausschmeisser Nick von der attraktiven Lisa dazu überreden, den schwarzen Nachtclubbesitzer und Rilke-Liebhaber Baldwin zu entführen, Nicks psychopathischer Bekannter Dex („wie Dexy’s Midnight Runners oder Dexedrin“) ist ebenfalls mit von der Partie. Wenig überraschend geht der schwachsinnige Plan grandios den Bach runter, am Schluss sind alle tot oder hinter Gittern.

‚Abgebrannt‘ ist die Geschichte des Repomanns David Cooper, dem es an den Kragen geht, als er mit seinem Kumpel „Doc“ (der Übername wurde ihn verpasst, weil er stets perfekt polierte Doc Martens trägt), einem riesenhaften, gebildeten Iren, den er im Gefängnis kennenlernte, eine Karriere als Bankräuber beginnt und – viel schlimmer – sich in die durchgeknallte Schönheit Cassie verknallt.

Mitch, Mitte vierzig, figuriert als Ich-Erzähler des grandiosen, wunderbar durch Conny Lösch übersetzten (bei Bruen eine Herkules-Aufgabe!) Einzelwerks ‚London Boulevard‘, das in Südost-London angesiedelt ist. Er hat eine exaltierte Schwester namens Bri, verschlingt die Bücher von Rainer Maria Rilke, Albert Camus, Charles Willeford, James Sallis, Andrew Vachss und Derek Raymond und hat wegen gefährlicher Körperverletzung drei Jahre Knast auf dem Buckel. Dort hat er sich vorgenommen, fortan ein anständiges Leben zu führen – gerade mal zehn Minuten nach seiner Freilassung bricht er indes einem aufsässigen Autofensterwäscher den Arm. Bereits am folgenden Tag kommt Mitch zu zwei höchst unterschiedlichen Jobs: Mädchen für Alles der berühmten, alternden, aber immer noch attraktiven Bühnenschauspielerin Lillian Palmer und Geldeintreiber für den Gangsterboss Gant. Dann aber unterlaufen ihm drei verhängnisvolle Fehler: Er legt sich mit Gant an, hat Sex mit Lillian und schätzt Jordan falsch dein, Lillians unergründlichen Ehemann, Butler und tatkräftigen Helfer in allen kritischen Lebenslagen.

Die Tom Brant-Serie besteht aus spritzigen, hochkomischen, mit viel schwarzem Humor erzählten, durch knackige Sprüche, messerscharfe Dialoge und ausufernde Selbstgespräche veredelte Geschichten, von denen vier in formidablen deutschen Übersetzungen vorliegen. Im Mittelpunkt stehen Detective Sergeant Tom Brant, ein selbstgefälliger, hinterfotziger Manipulator mit teuflischem Lächeln, der vorzugsweise in Sweatshirts mit aufgedruckten Sprüchen wie „Friss Scheisse“ unterwegs ist, gelegentlich auch in Massanzügen, die er sich mit Erpressung angeeignet hat, und der sämtliche Krimis von Ed McBain gelesen hat, sowie seine Gang, bestehend aus dem bereits über 60-jährigen, jedoch keineswegs ausgebrannten Chief Inspector Roberts, dem schwulen, rabiaten Detective Inspector Porter Nash, dem nichtsnutzigen Police Constable McDonald und den hart gesottenen Mädels PC Falls (schwarz) und PC Andrews (weiss), die sich wie ihr Boss stets am äussersten Rand der Legalität bewegt – Verbrecher in Uniform. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die den schleimigen Sesselfurzer Superintendent Brown verabscheuen. Und die ganze Menschheit überhaupt.

‚Brant‘ dreht sich um den koksenden Muskelprotz Barry Weiss, der sich um des Ruhmes Willen zum Ziel setzt, nicht weniger als acht Cops umzubringen – und unter dem Spitznamen Blitz mit der Boulevardpresse Kontakt aufnimmt, damit seine Taten medial gebührend gewürdigt werden. Blöd nur, dass sich auf seiner Liste der abzumurksenden Polizisten auch Tom Brant befindet.

Die ‚Füchsin‘, durchtrieben, eiskalt berechnend und atemberaubend schön, heisst Angie und hat einen Plan: In Florida einen reichen alten Sack heiraten, ihn durch heissen Sex ins Jenseits befördern – und dann ein Leben in Saus und Braus. Dazu benötigt sie einen Haufen Bargeld, das sie sich mit Hilfe der Brüder Ray und Jimmy beschaffen will, und zwar durch Erpressung mittels Bombenanschlägen in Southeast London. Ein fataler Fehler, denn dies ist Brants Revier.

Im sechsten Band ‚Kaliber‘ macht die weggetretene Truppe um Sergeant Brant Jagd auf den „Manieren-Killer“, einen bis anhin unauffälligen Buchhalter, der jeden umlegt, der ihm auf die Nerven geht. Der Mörder nennt sich (angelehnt an Jim Thompsons psychopathischem Cop Lou Ford, Hauptperson des Noir-Klassikers ‚Der Killer in mir‘) FORD, verehrt die Krimiautoren Ed McBain, Charles Willeford, Cornell Woolrich und besonders Jim Thompson, wendet sich immer wieder direkt an den Leser – und ist den Cops stets einen Schritt voraus.

Mit der in Galway angesiedelten Jack Taylor-Serie nahm Bruens Bekanntheitsgrad im deutschsprachigen Raume schlagartig zu – nicht zuletzt aufgrund der (nett ausgedrückt) eigensinnigen Übersetzungen durch den 2015 verstorbenen Irland-Kenner Harry Rowohlt, der mit dem Autor befreundet war. Jack Taylor, gefeuerter Cop und „Irlands erster Privatdetektiv“, eine verlorene Seele um die fünfzig mit einem tief vergrabenen menschlichen Kern, ist Bruens älterem Bruder Noel nachgezeichnet, einem alkoholkranken Landstreicher, der im australischen Outback ums Leben kam. Jacks Freundeskreis besteht zunächst aus Sutton, Ex-Soldat, Säufer und Kunstmaler, dem gebildeten Obdachlosen Padraig, der jungen, lebensfrohen Sängerin Cathy B und dem Kneipier Sean, Besitzer des Grogan’s, im ersten Band Jacks Lebensmittelpunkt und „Büro“, das einzige hiesige Lokal, in dem er noch nie Hausverbot hatte. Jack, ein begeisterter Krimileser, wenn er sich nicht gerade mit Alkohol, Dope, Pillen, Kokain zugedröhnt hat, wird immer wieder zusammengeschlagen, zur Entgiftung in die Klapse verfrachtet, landet gelegentlich mit einer netten Lady in der Kiste – und „schleppt stets eine Riesenladung Schuldscheisse mit sich rum“. Und ist einer der schusseligsten Ermittler der Kriminalliteratur, dem man aber trotzdem gerne bei seiner Arbeit über die Schulter schaut. Den Hintergrund der tragikomischen Reihe bildet oftmals Irlands jüngste Geschichte, etwa der erst Ende des 20. Jahrhunderts aufgedeckte Skandal der Magdalenen-Heime, in denen mit Billigung der katholischen Kirche 150 Jahre lang „gefallene Mädchen“ ohne Lohn in Wäschereibetrieben arbeiten mussten, gedemütigt und misshandelt durch die Nonnen; pädophile Priester, die ihre Messdiener missbrauchten; der unselige Wirtschaftsboom des Landes in den 90er-Jahren. Die nach Harry Rowohlts Tod erschienenen Titel harren der Übertragung ins Deutsche.

Das Spezielle an der Jack Taylor-Serie ist Bruens Geschick, zahlreiche Bausteine Stück für Stück zu einem vielschichtigen Porträt des Detektivs zusammenzufügen (Zitat eines Rezensenten: „Die Bücher wachsen zusammen“). Daraus ergibt sich die Empfehlung, alle Bände der Reihe nach zu lesen – vorzugsweise allerdings im Original.

Gemeinsam mit dem 1968 geborenen New Yorker Krimi- und Drehbuchautor Jason Starr verfasste Ken Bruen die Pulp-Trilogie um Max Fisher und Angela Petrakos, der erste Band ‚Flop‘ sticht hervor. Ein exquisites Quartett treibt die tiefschwarze, zum Schreien komische Geschichte, in der jeder jeden aufs Kreuz legt, rasant voran: Max Fisher, skrupelloser, schmieriger, millionenschwerer, mit der biestigen Deirdre kinderlos verheirateter IT-Manager in Manhattan; seine neue Sekretärin Angela Petrakos, ausgekochte Femme fatale griechisch-irischer Abstammung; Angelas heimlicher Lover Thomas Dillon, Übername Popeye, soziopathischer Gelegenheitskiller mit verstümmeltem Mund und schummriger Vergangenheit als IRA-Kämpfer, den Max beaufträgt, seine Frau aus dem Weg zu räumen, damit er seine sexuelle Beziehung zu Angela vertiefen kann; und der Ex-Knacki und Golf-Veteran Bobby Rose, der im Rollstuhl sitzt, seit ihm ein Nebenbuhler eine Kugel verpasst hat, und jetzt den gebeutelten Max mit verfänglichen Fotos erpresst. Als Kenneth Simmons von der Mordkommission des 19. Reviers die teuflischen Vier in die Ecke drängt, knallt Dillon ihn kurzerhand ab. Und dann läuft alles aus dem Ruder.

Nick und Todd, beide irischer Herkunft, sind zusammen in Brooklyn aufgewachsen und seither enge Freunde, doch sie geraten schon früh auf die schiefe Bahn. Später schliesst sich Nick der irischen Gangsterbande um die Drecksäcke Doyle und Griffin an, während Todd die Seiten wechselt und in Philadelphia und Boston zum Undercover-Cop ausgebildet wird. Kaum zurück in New York, wird Todd von Doyles Organisation enttarnt – Nick soll ihn unschädlich machen. Angesiedelt in der Zeit unmittelbar vor 9/11 (daher der Titel ‚Tower‘), befasst sich die schlanke, brutale Geschichte mit der Frage, ob Freundschaft und Liebe in dieser verrotteten Welt gedeihen und überleben können. Ungewöhlich ist der Kunstgriff der Autoren, die Geschehnisse aus Nicks (Ken Bruen) und Todds (Reed Farrel Coleman) Perspektive zu schildern.

Bibliografie:

Einzelwerke: ‚Shades o Grace‘ (1993), ‚Martyrs‘ (1994), ‚Rilke on Black‘ – ‚Rilke on black‘ (1996), ‚The Hackman Blues‘ (1997), ‚The Last Call to Louis MacNeice‘ – ‚Abgebrannt‘ (1998), ‚London Boulevard‘ – ‚London Boulevard‘ (2001), ‚Dispatching Baudelaire‘ (2004), ‚American Skin‘ (2006), ‚Once Were Cops‘ (2008), ‚Killer Year‘ (2008);

Detective Sergeant Tom Brant-Serie: ‘A White Arrest’ – ‚Saubermann‘ (1998), ‘Taming the Alien’ – ‚Aliens Bändigung‘ (1999), ‘The McDead’ – ‚McDead‘ (2000), ‘Blitz’ – ‘Brant’ (2002), ‘Vixen’ – Füchsin’ (2003), ‘Calibre’ – Kaliber’ (2006), ‘Ammunition‘ (2007);

Jack Taylor-Serie: ‚The Guards‘ – ‚Jack Taylor fliegt raus’ (2001), ‘The Killing of the Tinkers’ – ‘Jack Taylor liegt falsch’ (2002), ‘The Magdalen Martyrs’ – ‘Jack Taylor fährt zur Hölle’ (2003), ‘The Dramatist’ – ‘Ein Drama für Jack Taylor’ (2004), ‘Priest’ – Jack Taylor und der verlorene Sohn’ (2006), ‘Cross’ – ‘Jack Taylor auf dem Kreuzweg’ (2007), ‘Sanctuary’ – ‘Jack Taylor gegen Benedictus’ (2008), ‘The Devil’ – ‘Jack Taylor geht zum Teufel’ (2010), ‘Headstone’ – ‘Ein Grabstein für Jack Taylor’ (2011), ‘Purgatory’ (2013), ‘Green Hell’ (2015), ‘The Emerald Lie’ (2016), ‘The Ghosts of Galway’ (2017), ‚In the Galway Silence‘ (2018), ‚Galway Girl‘ (2019), ‚A Galway Epiphay‘ (2020).

Gemeinsam mit Jason Starr: Max Fisher & Angela Petrakos-Trilogie: ‘Bust’ – ‘Flop’ (2006), ‘Slide’ – Crack’ (2007), ‘The M.A.X.’ – ‘Attica: Hinter Gittern…und gefährlich’ (2008).

Gemeinsam mit Reed Farrel Coleman: ‘Tower’ – ‘Tower’ (2009).