(Kürzel für Anthony Grove Hillerman, 1925-2008)
In Tony Hillermans Adern fliesst wider Erwarten kein indianischen Blut. Seine Eltern, mittellose Farmer und Ladenbesitzer in dem Weiler Sacred Heart, Oklohama, schickten ihn an die nahegelegene St. Mary’s Academy, eine von Nonnen geleitete römisch-katholische Tagesschule für Indianermädchen – und hier wurde er mit der indigenen Lebensweise und Kultur eng vertraut.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, aus dem er als 20-Jähriger hoch dekoriert und schwer verwundet zurückkehrte, schloss er sein Journalismus-Studium an der University of Oklahoma ab. Daraufhin schrieb er Werbespots für das Radio, arbeitete als Polizeireporter in der schäbigen texanischen Industriestadt Bolger und als Journalist für die ‘Morning Press’ in Lawton, Oklahoma, wechselte dann zu ‘United Press International in Santa Fé und wurde 1954 Herausgeber des ‘New Mexican’ in Santa Fé.
Mitte der 60er-Jahre beendete er seine journalistische Laufbahn. Er liess sich in Albaquerque nieder, besuchte ein Graduierten-Programm an der University of New Mexico und unterrichtete danach bis 1987 Journalismus an dieser Uni. In seiner Freizeit begann er zu schreiben.
International bekannt wurde Tony Hillerman – begeisterter Leser der Bonaparte-Romane des Australiers Arthur W. Upfield – mit seiner Krimiserie um die indianischen Polizisten Joe Leaphorn und Jim Chee von der Navajo Tribal Police, zwei einfühlsam skizzierte, gegensätzliche, sich perfekt ergänzende Charaktere, die im Nordosten Arizonas, in der dünn besiedelten Navajo Nation Reservation, für das Gesetz eintreten.
Lieutenandt Leaphorn, ein erfahrener, rationaler, etwas zynischer, auch mit der Kultur des weissen Mannes gut vertrauter Polizist, ist in den ersten drei Büchern allein unterwegs. Er ist seit dreissig Jahren kinderlos mit seiner grosssen Liebe Emma verheiratet, die im Fortgang der Reihe an den Folgen eines Hirntumors stirbt. Aberglaube und Zauberei verabscheut er fast ebenso sehr wie illegale Schnapsbrennerei.
Im vierten Band ‘Tod der Maulwürfe’ begegnen wir erstmals dem jungen, intuitiv arbeitenden, mit einem hervorragenden Gedächtnis begabten Officer Jim Chee, der den traditionellen Werten seines Volkes stark verhaftet ist und in der Freizeit bei einem Medizinmann in die Lehre geht. Nach zwei unglücklich endenden Romanzen lernt er die Navajo-Polizistin Bernadette Manuelito kennen, die beiden heiraten im vorletzten Titel der Serie.
Auch Chee kommt zunächst zu drei Solo-Auftritten. Ab dem 1986er-Titel ‘Die Nacht der Skinwalkers’, mit dem Hillerman der internationale Durchbruch gelang, sind Leaphorn und Chee als Partner am Werk. Im 1996er Roman ‘Rod am heiligen Berg’ zieht sich Leaphorn aus dem Polizeidienst zurück und beginnt als Privatdetektiv, arbeitet jedoch weiterhin gelegentlich mit Chee zusammen.
In der über 34 Jahre sich erstreckenden Serie ist es Hillerman vorzüglich gelungen, seine geschickt gebauten Kriminalfälle in stimmungsvoll geschilderte Landschaften einzubetten und uns faszinierende Einblicke in eine Kultur zu vermitteln, die durch die moderne Konsumgesellschaft bedroht ist.
Darüber hinaus verfasste Hillerman zwei Krimi-Einzelwerke, das Kinderbuch ‘The Boy Who Made Dragonfly’, die Memoiren ‘Seldom Disapponted’, das Sachbuch ‘Indian Country: America’s Sacred Land’ und mehrere Essays über das Land, das ihm ans Herz gewachsen war. Er starb 83-jährig in einem Krankenhaus in Albaquerque und hinterliess seine Frau Marie Unzner, mit der er sechzig Jahre verheiratet war, und sechs Kinder, von denen fünf adoptiert waren. Seine leibliche, 1949 geborene Tochter Anne Hillerman führt die Leapman & Chee-Serie seit 2009 weiter (bisher sechs Romane, von denen es keine deutschsprachigen Übersetzungen gibt).
Bibliografie:
Joe Leaphorn & Jim Chee-Serie: ‘The Blessing Way’ – ‘Wolf ohne Fährte’ (1970), ‘Dance Hall of the Dead’ – ‘Schüsse aus der Steinzeit’ (1973), ‘Listening Woman’ – ‘Das Labyrinth der Geister’ (1978), ‘People of Darkness’ – ‘Tod der Maulwürfe’ (1980), ‘The Dark Wind’ – ‘Karo Drei’ (auch unter dem Titel ‘Der Wind des Bösen’, 1982, ‘The Ghostway’ – ‘Das Tabu der Totengeister’ (1984), ‘Skinwalkers’ – ‘Die Nacht der Skinwalkers’ (1986), ‘A Thief of Time’ – ‘Wer die Vergangenheit stiehlt’ (1988), ‘Talking God’ – ‘Die sprechende Maske’ (1989), ‘Coyote Waits’ – ‘Der Koyote wartet’ (1990), ‘Sacred Clowns’ – ‘Geistertänzer’ (1993), ‘The Fallen Man’ – ‘Tod am heiligen Berg’ (1996), ‘The First Eagle’ – ‘Die Spur des Adlers’ (1998), ‘Hunting Badger’ – ‘Dachsjagd’ (1999), ‘The Wailing Wind’ – ‘Das goldene Kalb’ (2002), ‘The Sinister Pig’ (2003), ‘Skeleton Man’ – ‘Der Skelett-Mann’ (2004), ‘The Shape Shifter’ (2006);
Einzelwerke: ‘The Fly on the Wall’ – ‘Die Wanze’ (1971), ‘Finding Moon’ – ‘Auf der Suche nach Moon’ (1995).
Eine der schönsten Entdeckungen, die ich durch Flubows “Krimiautoren A-Z”-Enzyklopädie bisher machen konnte. Herzlichen Dank dafür! – Tony Hillermann hat viele Fans auch in Deutschland. Das zeigen die Neuauflagen alle paar Jahre der gut lesbaren Übersetzungen. Trotzdem ist er nicht so bekannt, dass ihn mögliche neue Liebhaber einfach so entdecken könnten. Um auf so jemand wie ihn zu stoßen, brauchen wir Flubows Enzyklopädie!
Zum Einstieg passte für mich der Doppelband “Schüsse aus der Steinzeit” und “Wind des Bösen”. So unterschiedlich die beiden Kommissare Leaphorn und Chee in ihrer Navaho-Kultur verankert sind, beide sind erfahrene Spurensucher und Entschleuniger. In den kargen Biotopen am Rand der Tafelberge (Arizona) werden wir Leser mit einigen Geiern und anderen “schrägen Vögeln” bekannt, ohne dass die Action in den Rätselkrimis zu kurz käme.
Das Märchen “Der Junge, der die Libelle schuf” – für größere Kinder, Jugendliche und ihre Vorleser – habe ich meinem faszinierten Kind vorgelesen. (105 Seiten + kurzes Glossar; kein Krimi, aber derselbe Stoff eines sehr guten Freunds der überlebenden Pueblo-Indianer, ihrer bäuerlichen Maisanbau-Kultur und harmonischen Natur- und Religions-Vorstellungen.) Dieses Märchen von Tony Hillermann erschien gleichzeitig mit seinem Krimi-“Erstling”. Das heißt: Seine Erzählwelt der Indianerkultur und ihrer in den Reservaten überlebenden Charaktere hatte er bereits literarisiert, als er mit seinen Krimis begann.
Ein geschickter Erzähler mit Plan, ein Freund der Indianer und der Kinder.
Tony Hillerman muss ein herzensguter Mensch gewesen sein.
Pardon, muss heißen:
… hat viele Fans auch in deutscher Sprache.