(Kürzel für Joseph Bialobroda, 1923-2012)

Joseph Bialot kam in Warschau als Sohn jüdischer Eltern zur Welt. 1930 floh die Familie wegen antisemitischer Repressalien nach Frankreich und liess sich im jüdischen Pariser Viertel Belleville nieder. 1940 setzte sich Bialot nach Bordeaux ab, später zog er weiter in die Pyrenäenstadt Pau und schliesslich in den Grossraum Lyon, wo er sich der Résistance anschloss. Im Sommer 1944 wurde er in Grenoble mit gefälschten Papieren erwischt und daraufhin, am 11. August, nach Auschwitz deportiert. Er überlebte.

Zurück in Paris im Juni 1945, arbeitete Bialot im kleinen Trikotage-Betrieb seiner Eltern, den er später übernahm. Nach dem frühen Krebstod seiner Frau zog er die beiden Söhne gross. Von 1969 bis 1973 studierte er Psychologie an der Universität Vincennes in Paris und unterzog sich einer Psychoanalyse, die neun Jahre dauerte. Er war bereits 55 Jahre alt, als er Ende der 70er-Jahre seine Firma verkaufte und – ermutigt durch seine zweite Frau – als wahrer Autodidakt zu schreiben begann.

Sein literarisches Werk umfasst rund zwei Dutzend Krimis, einige historische Romane und die Jugenderinnerungen ‘Belleville Blues. Erst 2002, siebenundfünfzig Jahre nach seiner Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar 1945, und nach äusserst schmerzlichen Verarbeitungsprozessen, veröffentlichte er sein Buch über Auschwitz ‘C’est en hiver que les jours rallongent (Neuedition 2011 unter dem Titel ‘Votre fumée montera vers le ciel’), auf Deutsch ‘Im Winter werden die Tage länger. Wie ich Auschwitz überlebte’ (2004).

Von seinen sechs ins Deutsche übertragenen Krimis verdienen ‘Eine mörderische Drahtseiloper’ und ‘Die Nacht der Erinnerung’ – beide sind in der Edition Tiamat erschienen – besondere Erwähnung. Nicht auf Deutsch erhältlich ist dagegen der Vierteiler um den ehemaligen Polizisten Jean-Loup Fresnel, genannt “Loup”, der eine Maske trägt, seit sein Gesicht durch einen Schweissbrenner zerstört wurde, und jetzt als Berater einer von Kapitän Valentin Welsch angeführten Pariser Polizeibrigade fungiert (Loup-Serie).

‘Eine mörderische Drahtseiloper’, leichtfüssig erzählt und mit schrägen Figuren bevölkert, dreht sich um den arbeitslos herumhängenden Schauspieler Didier Valois aus Passy, dem südlichen Teil des 16. Arrondissement von Paris, dessen Lebensgeister endlich wieder erwachen, als auf seine Geliebte Juliette ein beinahe tödlich endender Anschlag verübt wird. Zusammen mit seinem Freund und Wohnungsnachbar Philippe Barret, genannt Neuron, beginnt er Nachforschungen anzustellen – und kommt kriminellen Machenschaften rechtsradikaler Kreise auf die Spur.

Der stimmungsvolle, in einem expressionistischen Stil erzählte Noir ‘Die Nacht der Erinnerung’ kreist um Lucien Perrain, einen angesehenen Geschäftsmann Mitte sechzig mit den Gesichtszügen eines Löwen. Sein heiss geliebter Enkel Julien ist entführt worden, und Perrain macht sich im Schneetreiben der Silvesternacht auf den Weg, das Lösegeld zu übergeben, bevor die Polizei alles versaut. Verirrt in der ausgestorbenen Landschaft, begleitet von einem herrenlosen Hund, erlebt er noch einmal die Alpträume seiner Vergangenheit, als er während des Krieges von den Deutschen in ein Konzentrationslager verschleppt wurde und später den höllischen Todesmarsch gegen Westen durchmachte. In einem furiosen Finale verschmelzen die Lagererinnerungen mit der Befreiung seines Enkels, und Lucien Perrain findet endlich seine Ruhe.

Joseph Bialot lebte ab 1945 im 15. Arrondissement von Paris und kehrte nie mehr in seine Geburtsstadt Warschau zurück. Bis zu seinem Tod am 25. November 2012 gab er jedes Jahr ein Buch heraus, unter ihnen ‘186 marches vers les nuages’, eine zutiefst bedrückende, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs in Deutschland spielende Geschichte.

Bibliografie:

‘Le salon du prêt-à-saigner’ – ‘Die Kinderbande’ (1978), ‘Babel-ville’ – ‘Babel-Ville’ (1979), ‘L’Annonce faite à Matcho’ (1981), ‘Matcho et les fourmis blanches’ (1982), ‘Sigmund Freud ne répond plus’ – ‘Sigmund Freud antwortet nicht mehr’ (1982), ‘Rue du Chat Crevé’ (1983), ‘Le Manteau de saint Martin’ (1985), ‘Un violon pour Mozart’ – ‘Eine mörderische Drahtseiloper’ (1989), ‘Le Royal-bougnat’ (1990), ‘La nuit du souvenir’ – ‘Die Nacht der Erinnerung’ (1990), ‘Les bagages d’Icare’ (1991), ‘Vous prendrez bien une bière?’ (1997), ‘Route Story’ (1998), ‘Noir scénar’ (2002), ‘La chronique de Montauk Point’ (2004), ‘Java des bouseux’ (2006), ‘La Ménagerie’ (2007), ‘L’héritage de Guillemette Gâtinel’ (2011), ‘Le puis de Moïse est achevé’ (2012).

Loup-Serie: ‘Nursery rhyme’ (1999), ‘Ô mort, vieux capitaine’ (2000), ‘Le Sténopé’ (2000), ‘Le numéro 10’ (2001).

Historische Romane: ‘Elisabeth ou le vent du Sud’ (1988), ‘Judith’ (1990), ‘Le Semeur d’étincelles’ (1996), ‘La Gare sans nom’ (1998), ‘La Station Saint-Martin est fermée au public’ (2004), ‘Belleville blues’ (2005), ‘Le Jour ou Albert Einstein s’est echappé’ (2008), ‘186 marches vers les nuages’ (2009), ‘À la vie!’ (2010).