(*1951; schreibt auch als Jack Buchanan und Ray Slater, Brad Simmons)

Joe R. Lansdale wurde als Sohn eines (von ihm verehrten) analphabetischen Kirmesboxers und einer belesenen Mutter und als Bruder des 17 Jahre älteren John in der heruntergekommenen osttexanischen Stadt Gladewater geboren und wuchs dort und in Mount Enterprise in einfachsten Verhältnissen auf. Seine mit 18 Jahren geschlossene Ehe hatte nur kurz Bestand. Während und nach seinem Studium, das er an der University of Texas in Austin und der Stephen F. Austin State University in Nacogdoches, Texas, absolvierte, hielt er sich als Vietnam-Kriegsdienstverweigerer mit Gelegenheitsjobs – Müllmann, Feldarbeiter, Rausschmeisser, Handlanger, Ziegenzüchter, Teppichleger usw. – über Wasser und schrieb nebenbei ein paar Kurzgeschichten. 1973 heiratete er Karen, die damals als Disponentin beim Polizei- und Feuerwehr-Departement in Nacogdoches arbeitete.

Inspiriert durch seine faszinierende, wenn auch arg unter Rassismus leidende Heimat, machte Lansdale 1981 das Schreiben zu seinem Hauptberuf. Zunächst verfasste er vorwiegend Horror- und Westernstories, später erweiterte er sein Spektrum. Heute steht er mit über achtzig Veröffentlichungen (Krimis, Sciencefiction, Western, Comics, Graphic Novels, Kinderbücher und Drehbücher für Film und Fernsehen) zu Buche und zählt in den USA zu den literarischen Schwergewichten (ein Kritiker bezeichnete ihn sinngemäss als „berühmtesten unbekannten Autor der Gegenwart“). Neben der Schriftstellerei betreibt er ein Autokino und eine Kampfsportschule, in der er selbst unterrichtet (er ist Grossmeister des von ihm entwickelten Shen-Chuan-Stils). Darüber hinaus gibt er Kurzgeschichtenanthologien heraus. Er lebt mit seiner zur Autorin und Redakteurin avancierten Frau Karen in Nacogdoches und hat zwei erwachsene Kinder, die als Journalist und Drehbuchautor (Keith) bzw. Singer-Songwriter, Autorin und Schauspielerin (Kasey) von sich reden machen.

Seit 1990 arbeitet Lansdale an seiner Reihe um die texanischen Tagelöhner und Amateurdetektive Hap Collins (weisser, heterosexueller, mit einer Krankenschwester liierter Kriegsdienstverweigerer – Lansdales alter Ego) und Leonard Pine (schwarzer, schwuler Vietnamveteran und Countrymusic-Fan). In hohem Tempo und mit viel schwarzem Humor beschreibt der Autor, ein Meister des schnellen, verdrehten Dialogs, die Abenteuer dieses schrägen, etwas kindsköpfigen Gespanns und seziert dabei wie beiläufig das Hinterwäldlertum, die sozialen Missstände und den Rassismus in den amerikanischen Südstaaten. Die Serie besteht aus zwölf Romanen, fünf Novellen und vier Kurzgeschichtenbänden (Stand 2019).

Lansdales bedeutendste Prosawerke sind die beiden im Osttexas der 1930er-Jahre, einer von der Grossen Depression besonders schlimm getroffenen Region, angesiedelten Spannungsromane ‚Die Wälder am Fluss‘ und ‚Kahlschlag‘ – faszinierende, in einer knappen Sprache erzählte und mit eindrucksvollen Haupt- und Nebenfiguren bevölkerte Sittengemälde einer finsteren Zeit -, die auch als „East Texas noir“ bezeichnet werden.

‚Die Wälder am Fluss‘ ist die Geschichte des elfjährigen Ich-Erzählers Harry und seines idealistischen Vaters Jakob Crane, der in einem Dorf eine kleine Farm und einen Friseurladen besitzt und nebenbei als Polizist arbeitet. Als Harry und seine kleine Schwester im Wald die übel zugerichtete Leiche einer schwarzen Prostituierten finden, beginnt der Vater – gegen starken Widerstand der rassistischen Bevölkerung und des Ku Klux Klan – das Verbrechen zu ermitteln, tatkräftig unterstützt durch seinen frühreifen Sohn, dessen toughe Grandma June und den schwarzen Arzt Doc Tinn, der über beachtliche Forensik-Kenntnisse verfügt. Schon bald geschehen weitere Morde, ein Unschuldiger wird vom Klan gelyncht, und auch der sagenhafte Ziegenmann, den es möglicherweise wirklich gibt, sorgt für Aufregung. ‚Die Wälder am Fluss‘: Ein facettenreicher, mit Schauerelementen angereicherter Krimi, aber auch eine einfühlsame Erzählung über das Erwachsenwerden in einer hasserfüllten Umgebung.

‚Kahlschlag‘ ist in der fiktiven Kleinstadt Camp Rapture angesiedelt, wo die der Familie Jones gehörende Sägemühle der wichtigste Arbeitgeber der notleidenden Bevölkerung ist. Die Geschichte beginnt mit dem Aufschrei einer gequälten Frau: Sunset schiesst ihrem Mann, dem Constable Pete Jones, der sie seit Jahren verprügelt und vergewaltigt hat, eine Kugel in den Kopf, als er im Begriff ist, sie ein weiteres Mal zu besteigen – und wird dann von Petes einflussreicher Mutter Marilyn, die am Tag des Todes ihres Sohnes auch gleich ihr Ekelpaket von Ehemann abserviert, zur neuen Gesetzeshüterin des Ortes (und damit zum ersten weiblichen Sheriff von Texas) ernannt – ein anforderungsreiches Amt für die feingliedrige, rothaarige Mutter einer pubertierenden Tochter in der von Vorurteilen, Rassenhass, Frauenfeindlichkeit und purer Dummheit strotzenden Region. Sunsets erster Fall ist der Mord an einer Frau und ihrem ungeborenen Kind, deren Leichen seltsamerweise mit Öl bedeckt sind. Die Frau war Petes Geliebte, Pete möglicherweise der Erzeuger des toten Säuglings, und so gerät Sunset zuerst selbst unter Verdacht. Kurz danach bekommt sie es mit betrügerischen, vor nichts zurückschreckenden Spekulanten zu tun, deren Objekt der Begierde eine auf „schwarzem“ Boden sprudelnde Ölquelle ist. Sunset hat viele Feinde, aber auch zwei (gegensätzliche) Helfer: den gutmütigen, zuverlässigen Clyde, der hoffnungslos in seine Chefin verliebt ist, und den smarten, adretten, eben erst zugewanderten Frauenverführer Hillbilly, der seinen richtigen Namen partout nicht preisgeben will – und sich auch über seine Vergangenheit ausschweigt. Sunset begehrt Hillbilly, hat Sex mit ihm, doch er schwängert ihre Tochter, die 14-jährige Karen, und setzt sich danach ab. Um Sunset das Leben noch komplizierter zu machen, kehrt ihr verschollener Vater Lee nach Camp Rapture zurück. Am Schluss entladen sich die schwelenden Konflikte in einer Orgie von urwüchsiger Gewalt.

Auch ‚Gauklersommer‘ spielt in Camp Rapture, aber 60 Jahre später, in der Jetztzeit. Im Mittelpunkt steht Sunset Jones‘ Urenkel Cason Statler, ein Veteran des ersten Golf-Kriegs. Er war ein viel versprechender Journalist, bis er mit der Frau und der (erwachsenen) Stieftochter seines Chefs ins Bett ging und gefeuert wurde. Gezeichnet von Kriegserlebnissen, übermässigem Alkoholkonsum und einer zerbrochenen Beziehung mit einer Tierärztin, versucht er, sein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen – als Kolumnist der örtlichen Tageszeitung. Doch bald schon kommt es knüppeldick für Cason: Sein glücklich verheirateter Bruder Jimmy, ein angesehener Geschichtslehrer in Camp Rapture, wird mit pornografischen Fotos erpresst; Caroline, eine unglaublich schöne, seit vielen Monaten vermisste und vermutlich nicht mehr unter den Lebenden weilende Studentin, über die Cason eine kleine Serie schreiben will, wird von ihren Bekannten als soziopathische, in ihrer Jugendzeit schwer misshandelte Frau geschildert – und sie ist Jimmys Sexpartnerin auf den Fotos; als dann auch noch Bilder von gehäuteten Frauen auftauchen, ist Cason heilfroh, dass sein Kriegskumpel Booger, ein Spezialist für Mord und Folter, auf der Bildfläche erscheint. ‚Gauklersommer‘ ist eine feine Mischung aus Noir, Trash und Horror, getragen von eigenständigen Charakteren und erstklassigen Dialogen und abgerundet mit einem spektakulären Finale.

Osttexas in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts: Die Zeit des Wilden Westens neigt sich dem Ende zu, es wird nach Öl gebohrt, Automobile beginnen die Pferde zu ersetzen, das Büro des Sheriffs ist bereits mit einem Telefonapparat ausgestattet – und die Pocken fordern ungezählte Opfer, unter ihnen die Eltern des gottesfürchtigen 16-jährigen Ich-Erzählers Jack Parker und seiner jüngeren Schwester Lula. Diese wird zu Beginn der üblen Geschichte ‚Das Dickicht‘, einem Mix aus Western, Entwicklungsroman und Noir, von den drei steckbrieflich gesuchten Schwerverbrechern Cut Throat Bill, Nigger Pete und Fatty Worth verschleppt, und Jack setzt nun alles daran, sie zu befreien. Er rekrutiert zwei Kopfgeldjäger – den dunkelhäutiger Hünen Eustace, ein passabler Fährtenleser, und den zwergwüchsigen, belesenen Shorty, der mit harten Fäusten zum Rechten schaut und stets für einen weisen Spruch gut ist („Gott ist nur eine Idee, und der Teufel, das sind wir“). Der Vierte im Bund ist Eustaces gefrässiger, halbzahmer Keiler, später gesellt sich die abtrünnige Hure Jimmie Sue hinzu, in die sich Jack verliebt, und schliesslich auch noch der schlitzohrige Sheriff Winton. Der Weg führt ins Dickicht, eine unwirtliche, von Gangstern beherrschte Waldregion – Schauplatz des bluttriefenden Showdowns. Köstliche Dialoge, wüste Schlägereien und Schiessereien, Slapstick-Szenen und das farbige Figurentableau mit einem Teenager, der in kürzester Zeit erwachsen wird, sorgen für ein grossartiges Leseerlebnis.

2007 ist Lansdales Frühwerk – der Roman ‚Nightsrunner‘, zwanzig Jahre zuvor erstmals veröffentlicht, und sechs Kurzgeschichten – in einer mit einem umfangreichen Vorwort des Autors versehenen Jubiläumsausgabe erschienen (‚The God of the Razor‘, auf Deutsch ‚Der Gott der Klinge‘).

Bibliografie:

Einzelwerke: ‚Act of Love‘ – ‚Akt der Liebe‘ (1981), ‚Dead in the West‘ (1986), ‚The Magic Wagon‘ (1986), ‚The Nightrunners‘ – ‚Nightrunners‘ (1987), ‚The Drive-In: A B-Movie with Blood and Popcorn, Made in Texas‘ – ‚Drive-In‘ (1988), ‚Cold in July‘ – ‚Kalt brennt die Sonne über Texas‘ (1989), ‚The Drive-In 2: Not Just one of Them Sequels‘ (1990), ‚Batman: Captured by the Engines‘ – ‚Batman – Tanz in den Tod‘ (1991), ‚The Boar‘ – ‚Der Teufelskeiler‘ (Novella, 1997), ‚Freezer Burn‘ (1999), ‚The Bottoms‘ – ‚Die Wälder am Fluss‘ (2000), ‚The Big Blow‘ – ‚Sturmwarnung‘ (Novella, 2000), ‚Zeppelins West‘ (2001), ‚A Fine Dark Line‘ – ‚Ein feiner dunkler Riss‘ (2003), ‚Sunset and Sawdust‘ – Kahlschlag‘ (2004), ‚Flaming London‘ (2005), ‚The Drive-In: The Bus Tour‘ (2005), ‚Lost Echoes‘ – ‚Blutiges Echo‘ (2007), ‚Leather Maiden‘ – ‚Gauklersommer‘ (auch unter dem Titel ‚Gluthitze‘, 2008), ‚Edge of Dark Water‘ – ‚Dunkle Gewässer‘ (2012), ‚The Thicket‘ – ‚Das Dickicht‘ (2013), ‚Paradise Sky‘ (2015), Hell’s Bounty‘ (2016), ‚Bubba and the Cosmic Bloodsuckers‘ (2017), ‚More Better Deals‘ (2020), ‚Moon Lake‘ – ‚Moon Lake‘ (2021), ‚The Donut Legion‘ (2023);

Hap Collins & Leonard Pine-Serie: ‚Savage Season‘ – ‚Wilder Winter‘ (1990), ‚Mucho Mojo‘ – ‚Texas Blues‘ (auch unter dem Titel ‚Mucho Mojo‘, 1994), ‚The Two-Bear-Mambo‘ – ‚Mambo mit zwei Bären‘ (auch unter dem Titel ‚Bärenblues‘, 1995), ‚Bad Chili‘ – ‚Schlechtes Chili‘ (1997), ‚Rumble Tumble‘ – ‚Rumble Tumble‘ (1998), ‚Captains Outrageous‘ – ‚Machos und Macheten‘ (2001), ‚Vanilla Ride‘ – ‚Das Dixie-Desaster‘ (2009), ‚Hyenas‘ , ‚Devil Red‘ – ‚Rote Rache‘, 2011), ‚Honky Tonk Samurai‘ – ‚Krasse Killer‘ (2016), ‚Rusty Puppy‘ – ‚Bissige Biester‘ (2017), ‚Blood and Lemonade‘ (2017), ‚Jackrabbit Smile‘ (2018), ‚The Elephant of Surprise‘ (2019).

Als Ray Slater: ‚Texas Night Riders‘ (1983).