(Pseudonym für Liza Nassim, *1944)

Liza Cody, geboren und aufgewachsen in London, hat indisch-kanadische Wurzeln. Sie studierte Kunst an der London Art School und der Royal Academy School of Art und war danach unter anderem als Möbelschreinerin, Fotografin, Kunstmalerin, Roadie einer lausigen Londoner Rockband in den 60ern, Grafikerin und Restauratorin in Madame Tussauds Wachsmuseum tätig. Ende der 70er-Jahre kam sie zum Schreiben von Krimis und Kurzgeschichten.

Von 1980 bis 1991 veröffentlichte Cody die sechsteilige, eher konventionelle Reihe um Anna Lee, eine ehemalige Polizistin und jetzige Angestellten der kleinen, auch im Musikbusiness ermittelnden Londoner Detektivagentur Brierly Security. Im letzten Band ‚Doppelte Deckung‘ geht Anna Lee, die mit David Quex eine unbefriedigende Beziehung pflegt, nach Sarasota, Florida, wo sie eine vermisste Frau aufspüren soll – und den Überseeaufenthalt dazu benützt, ihr Leben neu zu überdenken. Die Serie wurde Mitte der 90er-Jahre mit Imogen Stubbs in der Hauptrolle für das englische Fernsehen verfilmt.

Mit der Ich-Erzählerin Eva Wylie erweckte Liza Cody 1992 eine der eindrucksvollsten Figuren der modernen Kriminalliteratur zum Leben (auch Anna Lee kommt in den drei Romanen zu kleinen Auftritten). Eva Wylie, die „Killerqueen von London“, eine hässliche, muskelbepackte und analphabetische, auf einem Schrottplatz in den Londoner Slums hausende Kampfhundhalterin mit Knastvergangenheit, ist Profi-Catcherin, Gelegenheitsdetektivin – und bei all ihren Schwächen eine starke, authentisch gezeichnete Underdog-Figur mit weichem Kern.

Der dritte Band ‚Eva langt zu‘ sieht zunächst eine am Boden zerstörte Eva Wiley. Für den Catchring gesperrt, verbringt sie die Tage mit ihren geistesgestörten Hunden in einem schäbigen Wohnwagen auf dem Schrottplatz und verrichtet hin und wieder einen miesen Job, wenn sie nicht gerade sturzbetrunken ist – als ihr unverhofft ein Haufen Geld in die Hände fällt. Evas Freude wird noch grösser, als wenig später ihre jahrelang verschollene Schwester Simone auftaucht. Doch dann kommen die bösen Buben, die es auf die fette Beute abgesehen haben – Evas harte Fäuste sind nun gefragt.

In ihrem kunstvoll gebauten Roman ‚Gimme more‘ rechnet Cody mit der betrügerischen Welt der Musikindustrie ab. Im Mittelpunkt steht die ehemalige Musikerin Birdie Walker, deren charismatischer Lebensgefährte Jack vor 25 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Rockkarriere angeblich bei einer Feuersbrunst ums Leben kam. Als nun eine Plattenfirma um jeden Preis an unveröffentlichtes Material von Jack herankommen will, wittert die ausgekochte – von allen unterschätzte – Birdie ihre Chance auf den grossen Reibach; denn nur sie kennt die ganze Wahrheit über Jack.

‚Ballade einer vergessenen Toten‘ gehört der hochbegabten (fiktiven) Popmusikerin Elly Astoria, einer winzigen, im Alltag extrem ungeschickten und schüchternen, ja unsichtbaren Frau. Aufgewühlt durch das Anhören eines ihrer Songs im Radio, erzählt die Schriftstellerin Amy – eben erst von ihrem Partner verlassen und mit den Nerven am Ende – Ellys traurige Geschichte. Aufgewachsen bei einer allein erziehenden, drogenabhängigen Mutter, erwirbt Elly als Achtjährige mit selbst verdientem Geld für fünfzehn Pfund ihre erste Gitarre, bestreitet ihren Lebensunterhalt – und jenen ihrer Mutter! – als Strassenmusikerin, bis sie in den 80ern eine höchst erfolgreiche Laufbahn als Komponistin, Sängerin und Instrumentalistin in einer zuvor unbekannten Frauenkombo startet. Achtzehn Monate später, mit fünfzehn Jahren, wird sie Opfer eines bestialischen Mordes – eine Art rituelle Abschlachtung -, Täter unbekannt. Am Gedenkgottesdienst nehmen Pop-Grössen wie Rod Stewart, Sting und Annie Lennox teil. Danach geht Ellie sofort vergessen. Doch jetzt, zwanzig Jahre später, beginnt Amy ihren Tod zu recherchieren – Interviews, Polizeiberichte, Tagebucheinträge und Notizen bilden das Gerüst der multiperspektivischen Geschichte über Missgunst, Selbstsucht und Neid, Geldgier, Ausbeutung und Betrug in der Musikszene. Gelingt es Amy, den Mörder zu entlarven? Ein schwieriges Unterfangen, zumal alle Zeitzeugen viel lieber über sich selbst als über Ellie reden.

In London am Rand der Gesellschaft darbende Frauen stehen auch in Liza Codys drei letzten – mit feinem Humor, ganz ohne Sozialromantik erzählten und von liebevoll gezeichneten Figuren getragenen – Romanen im Zentrum des Geschehens: „Miss Terry“, die eigentlich Nita Tehri heisst, in ‚Miss Terry‘ (ihre Umgebung hält offensichtlich nicht viel von ausländisch klingenden Namen), eine in England geborene Grundschullehrerin mit pakistanischen Wurzeln, sowie die obdachlose Ex-Bankerin und Ex-Hausbesitzerin „Lady Bag“, die ursprünglich vermutlich Angela May hiess in ‚Lady Bag‘ und ‚Krodkodile und edle Ziele‘; zwei aufrechte und charakterfeste Figuren, die in der Grossstadt unter die Räder kommen.

‚Lady Bag‘ ist die Geschichte einer Unmengen algerischen Fusel trinkenden Ich-Erzählerin Mitte vierzig („die beknackte Olle mit dem Hund“), die mit ihrer alten Windhündin Elektra – ihrer einzigen Freundin – in der Londoner Innenstadt haarsträubende Abenteuer erlebt. Ihr Verhängnis war Gram Attwood, ein feiger Betrüger, dem sie verfallen war, für den sie vor vier Jahren ins Gefängnis ging, daraufhin alles verlor und in der Gossse landete. Als sie eines Tages „ihren persönlichen Teufel“ in Damenbegleitung aus der Ferne sieht, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Tieftraurige Szenen im Wechsel mit umwerfend komischen Momenten, witzigen Dialogen (auch zwischen der Baglady und Elektra) und Slapstick-Elementen – ein grandioses Leseerlebnis mit einer Protagonistin, die einem sofort ans Herz wächst. Und die am Ende wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten im Frauengefängnis Holloway einsitzt.

Zu Beginn des Nachfolgeromans ‚Krokodile und edle Ziele‘ hat die Baglady ihre Haftstrafe abgesessen. Sie besitzt ein künstliches Gebiss und 73 Pfund, die sie sich mit Klo-Schrubben verdient hat. Elektra und ihre im ersten Band gewonnenen Freunde Schmister (Mix aus Schwester und Mister), eine unvollendete Transsexuelle, und Pierre, ein 120 kg schwerer Automechaniker und Travestiekünstler, holen sie ab. Ihre Alkoholabstinenz ist von kurzer Dauer, denn mit Elektra kann sie sich nur unterhalten, wenn sie mindestens einen Liter algerischen Roten intus hat. Im Gefängnis hat sie ihrer Zellengenossin versprochen, sich nach der Freilassung um deren dreijährigen Sohn Connor zu kümmern, der bei seiner Grossmutter, einer versoffenen Prostituierten, und seiner ebenfalls auf den Strich gehenden 14-jährigen Tante lebt. Als die Baglady und ihre Freunde dem misshandelten, halb verhungerten Kind begegnen, sehen sie keinen anderen Ausweg, als es zu entführen – und setzen sich damit gewaltig in die Nesseln. Die tragikomische, mit einem kunterbunten Figurenensemble aufwartende Geschichte dokumentiert den Kampf einer Obdachlosen gegen Kindesmisshandlung, die Herzlosigkeit der Grossstadt und das – hier vor allem durch Pierres neue Freundin Cherry („Miss Tadellos“, „Cherry Gelato“, „Miss Frost“ gehören zu den Dutzenden Namen, die ihr die Baglady verpasst) verkörperte – Spiessertum, während eine stringente Krimihandlung nicht auszumachen ist.

Über Nita Tehri braut sich das Unheil zusammem, als ihrem Haus gegenüber die Leiche eines tiefgefrorenen, dunkelhäutigen Neugeborenen in einem Müllcontainer gefunden wird. Sie gerät sogleich in den Fokus der Polizei, die Nachbarn wenden sich von ihr ab, der Rektor suspendiert sie vom Unterricht, man bedroht sie und trachtet ihr nach dem Leben. Doch Nita Tehri, eine bisher etwas naive junge Frau mit geringem Selbstwertgefühl, die von ihrem erzreaktionären Vater wegen einer unglücklichen Männergeschchte verstossen wurde, lässt sich nicht unterkriegen und beweist in dem dramatischen Finale grossen Mut.

Liza Cody lebt wenige Gehminuten entfernt von ihrer Tochter und ihren beiden Enkeln als freie Autorin im südwestenglischen Badeort Bath, Somerset.

Bibliografie:

Anna Lee-Serie: ‚Dupe‘ – ‚Ein Spiel für Narren‘ (auch unter dem Titel ‚Video-Piraten‘, 1980), ‚Bad Company‘ – ‚Schlechte Gesellschaft‘ (1982), ‚Stalker‘ – ‚Jäger-Latein‘ (1984), ‚Head Case‘ – ‚Kopfzerbrechen‘ (auch unter dem Titel ‚Kopf kaputt‘, 1985), ‚Under Contract‘ – ‚Ungesetzlich geschützt‘ (1986), ‚Backhand‘ – ‚Doppelte Deckung‘ (1991);

Eva Wylie-Trilogie: ‚Bucket Nut‘ – ‚Was Sie nicht umbringt… Eva Wylies erster Fall‘ (auch unter dem Titel ‚Schweres Geschütz‘, 1992), ‚Monkey Wrench‘ – ‚Eva sieht rot. Eva Wylies zweiter Fall‘ (auch unter dem Titel ‚Schwesternkrieg‘, 1994), ‚Musclebound‘ – Eva langt zu. Eva Wylies dritter Fall‘ (auch unter dem Titel ‚Blüten für Mama‘, 1997);

Standalones: ‚Gimme More‘ – ‚Gimme more‘ (2000), ‚Ballad of a Dead Nobody‘ – ‚Ballade einer vergessenen Toten‘ (2011), ‚Miss Terry‘ – ‚Miss Terry‘ (2012);

Lady Bag-Romane: ‚Lady Bag‘ – ‚Lady Bag‘ (2013), ‚Crocodiles and Good Intentions‘ – ‚Krokodile und edle Ziele‘ (2017).