(1937)

Rick DeMarinis kam 1937 (nach anderen, weniger Vertrauen erweckenden Quellen bereits 1934) in New York City als Sohn eines italienischstämmigen Vaters und einer halbwüchsigen Mutter zur Welt – die beiden liessen sich wenig später scheiden. Als sich seine Mutter wieder vermählte, wuchs er bei ihr und dem Stiefvater in Los Angeles auf. Nach der Highschool und der Heirat mit Mary Lou Palmer verdiente er den Lebensunterhalt als Ingenieur in der Flug- und Raumfahrtindustrie und wurde Vater eines Sohnes und einer Tochter. Einige Jahre später schmiss er den ihn zutiefst frustrierenden Job und begann zu studieren, worauf seine Frau aus Angst vor finanziellen Nöten das Weite suchte.

DeMarinis machte einen Abschluss in Englisch an der University of Montana in Missoula und unterrichtete anschliessend Kreatives Schreiben an verschiedenen Provinz-Universitäten – University of Montana, San Diego State University, Arizona State University, University of Texas in El Paso. Aus seiner in dieser Zeit geschlossenen Ehe mit der Künstlerin und Autorin Carole Joyce Bubash entspross 1981 eine weitere Tochter. In seiner Freizeit verfasste er Kurzgeschichten und Romane, die nur wenig Anklang fanden.

Nach seiner Emeritierung zog DeMarinis mit seiner Frau nach Missoula und freundete sich dort mit dem grossen, von der Leserschaft verschmähten, 2008 verstorbenen Krimiautor James Crumley an – und auch ihm blieb der literarische Erfolg verwehrt: Trotz acht Romanen, von denen einzig ‚Kaputt in El Paso‘ und ‚Götterdämmerung in El Paso‘ astreine Krimis sind (beide sind in Frank Novatzkis nicht genug zu lobendem Verlag ‚Pulp Master‘ erschienen), und sechs Bänden mit Kurzgeschichten kam Rick DeMarinis bisher nicht über den Status eines Geheimtipps hinaus.

Uriah „Uri“ Walkinghorse ist der einprägsame Held in DeMarinis‘ furiosem, im texanisch-mexikanischen Grenzgebiet spielendem Noir ‚Kaputt in El Paso‘. Der gescheiterte Mathematiklehrer und ehemalige Bodybuilder ist 42-jährig, frisch geschieden und vereinsamt. Er verrichtet den öden Hausmeisterjob in einem schäbigen Block in El Paso (verstopfte Toiletten, Kakerlaken, Vandalismus, Ruhestörung, säumige Mieter) und darf dafür umsonst ein kleines Appartment bewohnen. Aufgewachsen war er – wie seine vier ebenfalls elternlosen Halbgeschwister – bei den Adoptiveltern Maggie und Sam. Und dieser, ein ehemaliger Pfarrer, ist jetzt an einem Hirntumor erkrankt, verweigert die Behandlung und liegt, von religiösen Wahnvorstellungen befallen, im Sterben. Uri soll ihn ins Gebet nehmen – und sich überdies um seinen ältesten Halbbruder Moses (Sam versah alle Adoptivkinder mit biblischen Namen) kümmern, der seit Jahren ein Junkie-Dasein fristet. Gleichzeitig gewinnt auch Walkinghorses Berufsleben an Schwung: Für 200 Dollar pro Nacht verhilft er als maskierter „Henker“ den betuchten Kunden eines SM-Studios zu einem Extrakick – ein Job, den er dem etwas seltsamen Ehepaar Farnsworth verdankt. Doch schon sein zweiter Einsatz geht gründlich schief: Der Studiogast, ein hoch angesehener Bankier namens Clive Renseller, stirbt an einem Herzinfarkt, Walkinghorse, stets hilfsbereit, schafft die Leiche fort – und landet alsbald mit Rensellers junger Witwe Jillian im Bett. Wenig später aber wird er von mexikanischen Drogenhändlern entführt, denn der tote Bankier war ihr Geldwäscher, und Walkinghorse weiss vielleicht zuviel. ‚Kaputt in El Paso‘, meisterhaft komponiert, in einer kraftvollen Sprache erzählt und mit facettenreichen Charakteren bevölkert, ist die Geschichte einer bunt zusammengewürfelten, dysfunktionalen Familie und die Geschichte des gutmütigen, jedoch nicht zu unterschätzenden Ich-Erzählers Uriah Walkinghorse, der dieser Familie angehört; der in einen Schlamassel gerät, dennoch seinen eigenen Weg geht, beinahe die Liebe findet – und selbst in dieser kaputten Umgebung vielleicht ein besserer Mensch wird.

Luther Penrose und Ich-Erzähler P.J. Morgan, die Protagonisten des 2007 abgeschlossenen, im Original bisher jedoch nicht erschienenen Krimis ‚Götterdämmerung in El Paso‘, lernten sich an der Highschool kennen, nahmen 1991 an der Operation „Desert Storm“ teil und kehrten daraufhin nach El Paso zurück. Luther, durch das Erbe seines Vaters millionenschwer, bringt 150 Kilo auf die Waage und verbringt seine Zeit mit Kiffen, Saufen, Anhören von Wagner-Opern und Schreiben an einem schwülstigen Roman. P.J. (sein Vorname besteht tatsächlich nur aus diesen beiden Buchstaben) war kurze Zeit als Cop und anschliessend mehrere Jahre erfolgreich als Versicherungsdetektiv tätig, bis er seinen Job – und kurz danach auch seine Frau – verlor und seither ziellos in der Stadt rumhängt. Als Luthers Frau, die Dozentin und Politaktivistin Carla, spurlos verschwindet, ist sich der Möchtegernautor sicher, dass sie mit einem mexikanischen Studenten durchgebrannt ist und hetzt nun P.J. gegen ein üppiges Honorar auf ihre Fersen. Dass es sich nicht um eine sexuelle Eskapade sondern um ein lebensgefährliches Unternehmen von Carla handelt, wird P.J. indes schon früh offenbart, als er heftig mit drei Kopfgeldjägern und kurz danach mit den Vertretern einer rechtsextremen, durch einen durchgeknallten Star-Dermatologen gegründeten Kommandotruppe zusammenprallt – dieser hat sich zum Ziel gesetzt, einen Krieg zwischen den USA und Mexiko anzuzetteln, um der illegalen Einwanderung in sein Land endgültig den Riegel zu schieben, und zudem ein Kopfgeld auf den mit Carlas Hilfe untergetauchten mexikanischen Studenten ausgeschrieben, weil er ihn für den Mörder seines Sohnes hält. Der mit grimmigem Humor erzählte, auf unaufdringliche Weise gesellschaftskritische Krimi spielt in den beiden durch den Grenzfluss Rio Grande getrennten Städten El Paso und Juarez, die eine jahrzehntelange Hassliebe verbindet.

‚Sky Full of Sand‘ – ‚Kaputt in El Paso‘ (2003), ‚Virgin in the Woodworks‘ – ‚Götterdämmerung in El Paso‘ (2012; im Original bisher nicht erschienen).