(1937-2015)

Robert Stone kam in Brooklyn, New York City, auf die Welt. Er wuchs in der West Side von Manhattan bei seiner allein erziehenden schizophrenen Mutter auf, einer Lehrerin, die als Zimmermädchen arbeitete und immer wieder in psychiatrische Kliniken eingewiesen wurde, und verbrachte viel Zeit in Waisenhäusern und Internaten. Mit siebzehn flog er wegen Schwänzens und atheistischer Ideen von der Archbishop Malloy Highschool und heuerte bei der US-Navy an. Im Jahr 1959 heiratete er die Sozialarbeiterin Janice Burr, die zwei Kinder, Ian und Deirdre, zur Welt brachte.

Nach einem längeren Aufenthalt in New Orleans, wo er Gelegenheitsjobs verrichtete, studierte er 1958 bis 1959 an der New York University und 1962 bis 1964 an der Stanford University. In den frühen 60ern trieb er sich mit dem Autor Ken Kesey und den „Merry Pranksters“, einer Gruppe kalifornischer Künstler, Desperados und LSD-Konsumenten, in Palo Alto, Kalifornien, herum und experimentierte intensiv mit Drogen.

Mit seinem ersten Roman ‚A Hall of Mirrors‘, der 1967 herauskam, schrieb sich Stone gleich in die erste Reihe der amerikanischen Autoren. Die folgenden vier Jahre verbrachte er mit seiner Familie in England. 1971 berichtete er für den ‚Guardian‘ aus Saigon (heute: Ho Chi Minh City) über den Vietnamkrieg. Von 1971 bis 1985 unterrichtete er an verschiedenen Universitäten, unter anderem in Princeton, am Amherst College und in Harvard, später in Yale. Nach Aufenthalten in Massachusetts und Connecticut lebte er in New York City und Key West, Florida, wo er mit seiner Frau jeweils die Wintermonate verbrachte.

Dass er in knapp fünfzig Jahren nur acht Romane, zwei Erzählbände und die Memoiren ‚Prime Green: Remembering the Sixties‘ (2007) zu Papier gebracht hatte, schrieb Robert Stone mit Faulheit gepaartem Perfektionismus zu. In seinem Werk finden sich fünf anspruchsvolle Spannungsromane, deren letzter, ‚Death of the Black-Haired Girl‘, auf Deutsch nicht vorliegt.

Stones bester Roman ‚Unter Teufeln‘ wird getragen von vielschichtig gezeichneten Männern, denen in einem durch Watergate, Charles Manson und, vor allem, den Vietnamkrieg verrotteten Land Moral und Menschlichkeit abhandengekommen sind. Der kalifornische Journalist und Schriftsteller John Converse (er ging nach Saigon, weil er sich Anregungen für einen Roman erhoffte, schrieb dann jedoch keine einzige Zeile) lässt sich in Vietnam auf einen Drogendeal ein, als der Krieg bereits dem Ende zusteuert. Johns Plan ist einfach: Sein hart gesottener Kumpel Ray Hicks, ein Ex-Marine, Samurai, Zen-Wanderer und Nietzscheaner, soll drei Kilo reines Heroin in die Staaten schmuggeln und Johns tablettensüchtiger, in einem Sexkino arbeitender Frau Marge übergeben, damit sie den Stoff für 40’000 Dollar anonymen Dealern übergibt. Es zeigt sich indes schon bald, dass diese Sache für das unbedarft agierende Trio ein paar Nummern zu gross ist. Als Hicks realisiert, dass er schon während seiner Reise in die Staaten verfolgt wird, setzt er sich mit Marge in den Süden ab, um das Heroin dort an den Mann zu bringen. Einige Tage später trifft auch Converse in Kalifornien ein. Er wird überfallen, gefoltert und als Geisel auf die Verfolgung mitgenommen – der korrupte Bundesagent Antheil und seine gewissenlosen Helfer Danskin und Smitty heften sich an Hicks‘ Fersen. Nach einer Hetzjagd durch den Süden der USA kommt es in der Sierra an der mexikanischen Grenze zu einem apokalyptischen Showdown. Der nachtschwarze Roman wurde 1978 durch Karel Reisz unter dem Titel ‚Dreckige Hunde‘ verfilmt, Nick Nolte (Ray Hicks), Michael Moriarty und Tuesday Weld (Ehepaar Converse) spielten die Hauptrollen.

‚Das Geschrei deiner Feinde‘ spielt in der kleinen, an Bodenschätzen reichen, durch die CIA unterstützten fiktiven zentralamerikanischen Militärdiktatur Tecan (Vorbild ist wohl Nicaragua, das Stone in der Zeit des Somoza-Regimes mehrmals besucht hat), in der eine sozialistische Revolution unmittelbar bevorsteht. Vier facettenreich gezeichnete Amerikaner stehen im Mittelpunkt: Der alte Pater Charles Egan, der sich langsam zu Tode säuft, die junge, schöne, mit den Rebellen sympathisierende Nonne Justin Feeney, der Anthropologieprofessor Frank Holliwell, ein traumatiserter Vietnamveteran und gescheiterter Familienvater, der in Lateinamerika ein paar Vorträge hält, nebenbei ein bisschen für die CIA spioniert, seinen Lebensüberdruss im Schnaps ertränkt und sich unseligerweise heftig in Justin verliebt, sowie der durchgeknallte Amphetamin-Junkie Pablo Tabor, ein Deserteur der amerikanischen Küstenwache, der die Revolutionäre mit Waffen versorgt. Der Autor verwebt die Schicksale seiner Protagonisten und komponiert aus zahlreichen Erzählsträngen ein in sich geschlossenes Werk, in dem er die USA an den Pranger stellt, weil sie sich in Konflikte einmischen, die sie eigentlich überhaupt nichts angehen – Vietnam, Nicaragua, El Salvador.

‚Das Jerusalem-Syndrom‘, angesiedelt in Jerusalem und im Gazastreifen der frühen 90er-Jahre, dreht sich um eine Verschwörung religiöser Fanatiker – jüdische Extremisten und christliche Fundamentalisten – die, wenn auch mit gegensätzlichen Zielen, den heiligen Tempelberg in die Luft jagen wollen. Die Hauptrollen bekleiden Christopher Lucas, ein amerikanischer Journalist – Mutter Christin, Vater Jude – auf der Suche nach dem Glauben, der an einer Reportage über das „Jerusalem-Syndrom“ (eine anerkannte, durch religiöse Wahnvorstellungen charakterisierte Erkrankung) arbeitet; Sonia Barnes, eine schwarze Nachtclubsängerin jüdisch-kommunistischer Abstammung; Janusz Zimmer, ein polnischer Journalist mit Verbindung zu den israelischen Geheimdiensten; Adam De Kuff, ein reicher Mystiker mit bipolarer Störung, der zum neuen Messias hochstilisiert werden soll; Raziel „Razz“ Melker, ein junger jüdischer Musiker und Ex-Junkie, der mit De Kuff zusammenspannt; und Nuala Rice eine irische Krankenschwester, die Waffen in den Gazastreifen schmuggelt.

In Stones nachfolgendem Roman ‚Die Professorin‘ gewinnt das Leben des Literaturwissenschaflers Michael Ahearn, eines ausgebrannten Familienvaters und Professors in einer namenlosen Kleinstadt im Mittelwesten der USA, schlagartig an Fahrt, als er sich in seine neue Kollegin verliebt, die geheimnisvolle Schönheit Lara Purcell aus der Karibik. Er verfällt ihrem Zauber, folgt ihr in ihre Heimat, auf die Insel St. Trinity, wo archaische Voodoo-Rituale ebenso zum Alltag gehören wie militärische Unruhen, und wird in die blutigen politischen Wirren hineingezogen – die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit beginnen zu verschwimmen.

Im Januar 2015, im Alter von 77 Jahren, zollte Robert Stone seinem Lebensstil – gefährliche Reisen, Unmengen Whiskey und Zigaretten – Tribut und starb in seinem Haus in Key West an den Folgen eines Lungenemphysems.

Bibliografie:

‚Dog Soldiers‘ – ‚Unter Teufeln‘ (1973), ‚A Flag of Sunrise‘ – ‚Das Geschrei deiner Feinde‘ (1981), ‚Damascus Gate‘ – ‚Das Jerusalem-Syndrom‘ (1998), ‚Bay of Souls‘ – ‚Die Professorin‘ (2003), ‚Death of the Black-Haired Girl‘ (2013).